Quasthoff kann auch Jazz

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Daniel

Quasthoff kann auch Jazz

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Beitrag von Daniel » Montag 15. Februar 2010, 08:08


Quasthoff kann auch Jazz

Montag, 15. Februar 2010 03:46 - Von Volker Blech

Mit seinem lauten Nein kann er einen geradezu aufschrecken. Der Widerspruch klingt wie es bei einem klassisch ausgebildeten Bassbariton klingen muss - dunkel, sonorig, raumgreifend. Nein, sagt Thomas Quasthoff, diese zweite CD ist keine Jazz-CD.

"Ich möchte nicht, dass sie wieder in so eine Schublade gepackt wird. Diesmal ist es eine Mischung aus Country, Jazz und Soul. Es sind einfach nur Stücke, die ich sehr liebe." Der Sänger spricht, als stehe er gerade im großen Saal der Berliner Philharmonie oder in der New Yorker Carnegie Hall. Aber wir sitzen im winzigen, verspiegelten Umkleideraum des Charlottenburger Jazzklubs A-Trane, draußen vor der angelehnten Tür sucht das Publikum seine Plätze. Quasthoff mimt derweil den coolen Jazzer, obwohl ist er sichtlich aufgewühlt ist.

Ein Mann der deutlichen Worte

Ein Klassikstar wie Quasthoff ist normalerweise nicht an solchen Orten anzutreffen, er ist auf den großen Konzertbühnen dieser Welt zuhause. Wenn da nicht seine musikalischen Grenzgänge werden, mit einem Jazzalbum hat es vor drei, vier Jahren angefangen. Aber auch Crossover soll man bloß nicht dazu sagen. "Bitte nicht", stöhnt er auf, "das Wort hasse ich." Quasthoff ist bekannt dafür, dass er sein Herz auf der Zunge trägt - nicht nur beim Singen. Ein Mann der deutlichen Worte. Dass eigentlich alle anderen Klassiksänger Jazz nicht richtig vorführen können, habe damit zu tun, weil "es ihnen schwer fällt zu reduzieren." Die Stimme müsse anders benutzt werden, direkter im Ton. Aber er, der Quasthoff, könne auch keinen Rock, keinen Punk, keinen Rap machen. "Ich kann auch nicht singen wie Westernhagen, gut, das würde ich auch nicht wollen."

Seine irgendwie auch CD-Präsentation ist von allerlei Merkwürdigkeiten begleitet. Es geht damit los, dass niemand das neue Album "Tell it like it is" kennt. Kann auch keiner. Die Aufnahmen dafür finden erst im Mai statt. Den ursprünglichen Termin musste der Sänger wegen Krankheit absagen. Aber da standen die Tourneetermine bereits fest, heute beginnt sie in der Dresdner Semperoper, das Konzert in der Berliner Philharmonie findet am 22. Februar statt.

Es handelt sich buchstäblich um ein work in progress. Das konnte das Publikum im A-Trane angesichts der großen Fernsehkameras im kleinen Raum kaum übersehen. Zehn Minuten vor Beginn wurde darum gebeten, während des Konzerts möglichst sitzen zu bleiben. Warum? Beiläufig wurde bereits das Video für die noch nicht vorhandene CD gedreht. Reichlich brav blieb also das mitwippende Publikum. Aber man konnte ahnen, was zwischen Künstlern und Publikum abgelaufen wäre - ohne Kameras. Denn Quasthoff ist das, was man gern eine Rampensau nennt. Er spricht zwei, drei Sätze, scherzt, singt genussvoll einige Töne und hat das Publikum sofort auf seiner Seite. Er ist ein Entertainer, ein Charmeur mit liebenswürdiger Rauheit. Noch bevor er und seine Band mit "Mercy, mercy me" eröffnen, bedankt sich Quasthoff beim Klub und wünscht sich, dass die nächste Spende zu einer neuen Kaffeemaschine verhelfe.

Dem ganzen Projekt haftet etwas Familiäres, etwas Vertrautes an. Nicht nur im Umgang mit seinem Begleitquartett und seinem Team. Jazz sei immer seine stille Liebe gewesen, sagt der 50-Jährige, auch wenn sie mittlerweile nicht mehr ganz so still ist. "Es macht mir Spaß, und eigentlich geht es nur darum." Das Publikum im A-Trane weiß um die Leiden und Hoffnungen des Contergan-Opfers Quasthoff, kennt die Geschichte der zynischen Zurückweisung als Gesangsstudent an der Musikhochschule in Hannover, weil er doch mit seiner Behinderung kein Klavier spielen könne. Der Klassik verdankt er seine soziale Karriere, genau genommen eine späte Karriere. Der Jazz der Jugendjahre, den er gemeinsam mit seinem älteren Bruder Michael auslebte, war wohl seine Gegenwelt, die des sich frei Fühlens. Diesen Traum lebt der Künstler jetzt auf der Bühne in allen Widersprüchen aus. Da wird "Kissing my love" zur schmutzig aggressiven Klubmucke, "Ain't no sunshine" zur überraschend zärtlichen Hymne, "Imagine" zur liebevollen Ballade. Quasthoff streift das Korsett des Bassbaritons ab, um im Farbenreichtum der hohen Lagen baden zu können. Das Bass-Dunkle bleibt dem, seinem Bruder gewidmeten Randy-Newman-Country "Rider in the rain" vorbehalten - ein Schelmenstück in diesem Programm. "Lieber Zwergi" zitiert er eine Mitteilung seines zwei Jahre älteren Bruders Michi. Zwergi nenne der Bruder ihn, erzählt Thomas Quasthoff, oder auch Schochti, weil ein Niedersachse das englische Wort Shorty halt so ausspricht. Vor der ersten Zugabe "Short people" plaudert der durch die Welt reisende Künstler über seine Probleme, in Hotelzimmern morgens nie in die viel zu hoch hängenden Spiegel schauen zu können. Beim Hochzeitskuss sei es ihm ganz ähnlich ergangen, scherzt er, als die Braut plötzlich aufstand. Das war 2006.

Die neue Platte ist wohl auch eine Liebeserklärung an seine Claudia. Sein Lebensziel sei es, so Quasthoff, "ein anständigerer Mensch zu werden." Ja früher, da sei er, rein erblich bedingt, ein wenig jähzornig gewesen. "Jetzt bin ich insgesamt ruhiger geworden, weil ich glücklich bin und weiß, wo ich hingehöre." Darüber hinaus, ist hier festzuhalten, bleibt er der Künstler des lauten Neins.
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