***Presseberichte **September**2011

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Daniel

***Presseberichte **September**2011

#1

Beitrag von Daniel » Samstag 3. September 2011, 08:28

***Presseberichte **September**2011
Hier findet Ihr Presseberichte vom September 2011,
Kommentare kommen in einen eigenen Thread,den Ihr hier(klick) finden könnt.

Daniel

#2

Beitrag von Daniel » Samstag 3. September 2011, 08:29

IPC-Konferenz in Bonn: Komplexität der Klassifizierung

Von Bernd Joisten

Bonn. Gibt es einen gerechten Wettkampf bei Paralympischen Spielen, wo Athleten mit unterschiedlichsten Behinderungen gegeneinander antreten und um Medaillen kämpfen? Diese und viele andere Fragen werden derzeit von mehr als 200 Fachleuten bei der mehrtägigen Vista-Konferenz des in Bonn ansässigen International Paralympic Committee (IPC) behandelt.
Die sogenannte Klassifizierung soll sicherstellen, dass eine möglichst große Gerechtigkeit bei der Ermittlung der Sieger gewährleistet ist. Bei den Paralympics 2008 in Peking gab es deshalb auch im 100-Meter-Lauf gleich 16 Gewinner in den verschiedenen Klassen. Es kann auch sein, dass ein Sportler mit seiner Behinderung in einer Sportart in eine Schadenklasse eingestuft ist, er aber in einer anderen Sportart ganz anders eingestuft wird, weil sich dort seine Behinderung anders auswirkt.

"Das Thema Klassifizierung ist unglaublich komplex", erklärte am Freitag Professor Yves Vanlandewijck, Vorsitzender des IPC Science Committee. Es gebe drei wichtige Säulen, die zu beachten seien: die individuelle Behinderung, die Wirkung von Training und letztendlich die Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Athleten. Außerdem spiele eingesetztes technisches Equipment eine wesentliche Rolle.

Vanlandewijck: "Wir müssen noch viel mehr wissenschaftliche Erkenntnisse sammeln, wie Behinderungen sich auf die jeweilige Sportart auswirken." Man dürfe die Sportler durch Auflagen nicht so reglementieren, dass die individuelle Leistungsfähigkeit eingeengt werde. So sei es nicht ratsam, beispielsweise Rollstuhlbasketballer mit unterschiedlicher Gehbehinderung alle einheitlich im Rollstuhl festzuschnallen.

Wichtig sei, die Klassifizierung so zu betrachten, dass jeder Athlet seine individuellen Fähigkeiten voll ausspielen könne. Willi Lemke, Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport, beschrieb, wie bei den Paralympischen Winterspielen ein Contergan-geschädigter Biathlet am Berg von zahlreichen weniger behinderten Kontrahenten überholt und am Ende Vierter wurde: "Der Mann war an diesem Tag der beste Schütze gewesen. Es hat mir unglaublich imponiert, dass er keinen Groll über die Platzierung hegte, sondern sich riesig über seine Leistung freute."

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Daniel

#3

Beitrag von Daniel » Samstag 3. September 2011, 08:35

Drug Repurposing: Hustensaft als Haarwuchsmittel
Der Fachausdruck für eine Strategie bei der Arzneientwicklung nennt sich "Drug Repurposing" - gesucht wird mit bekannten Wirkstoffen nach neuen Indikationen. Dass etwa ein Migränemittel gegen Reizdarm wirkt, ist ein überraschendes Ergebnis.

Es war eher ein Zufallsbefund, der Thalidomid zu seiner Auferstehung aus der Asche begrabener Arzneimittel-Hoffnungen verhalf. Als Schlaf- und Beruhigungsmittel entwickelt und nach den furchtbaren Nebenwirkungen als „Contergan“ wieder vom Markt genommen, spielt der Wirkstoff nun eine wichtige Rolle bei Patienten mit multiplem Myelom, aber auch bei Leprakranken. Auch die Karriere von Sildenafil (Viagra®) als unverzichtbares Hilfsmittel für den Mann mit Potenzschwäche war bis hin zu Phase-I Studien als Mittel gegen Hypertonie und Angina pectoris geplant, bevor alles ganz anders kam.

Systematische Suche nach neuen Einsatzmöglichkeiten
Arzneimittel, die kurz vor der Zulassung scheitern, verbrennen für die Entwickler viel Geld. Manchmal liegt aber auch in der anfangs unerwünschten Nebenwirkung eine zweite Karrierechance für die vielbeforschte Substanz. Das gilt auch für bereits etablierte und zugelassene Arzneien. Wenn sie für einen anderen Einsatzzweck ebenso erfolgreich sind, kostet die Neuausrichtung nur einen Bruchteil einer Neuentwicklung. „Drug Repurposing“ heißt das Zauberwort. In Zukunft soll nicht mehr der Zufall über einen Quereinsteiger bei neuen Heilmitteln entscheiden, sondern systematisches Screening.

Pfizer hat dazu eine eigene Entwicklungsabteilung aufgebaut. Die „Indication Discovery Unit“ nimmt sich Wirkstoffe mit bekanntem Sicherheitsprofil vor und sucht nach neuen Anwendungsmöglichkeiten. Das muss nicht unbedingt ausschließlich im eigenen Hause geschehen. Eine Zusammenarbeit mit der Washington University in St. Louis erlaubt Mitgliedern der medizinischen Fakultät Einblick in die Daten von rund einhundert Pfizer-Produkten. Auf dieser Basis können die akademischen Forscher der Firma Vorschläge zu präklinischen, aber auch klinischen Studien machen. Das Bündnis macht sich inzwischen bezahlt: Ein Wirkstoff gegen nosokomiale Infektionen, der nichts mit dem Muster klassischer Antibiotika zu tun hat, befindet sich schon in der Erprobung am Patienten. Auch andere Firmen haben inzwischen eigene „Repurposing“-Strategieabteilungen wie zum Beispiel Bayer‘s „Common Mechanisms Research Group“.
Aus alt mach neu
Wie gräbt man am besten aus den großen Datenbanken der Pharmaindustrie zu erfolgreichen wie erfolglosen Verbindungen neue Schätze aus? Dazu trafen sich Anfang April dieses Jahres rund 80 Repräsentanten von Industrie, Regierung und akademischer Forschung, um über gemeinsame Strategien - möglichst in Zusammenarbeit - zu beraten. Denn für kleinere Unternehmen sind die Datenspeicher mit den wichtigen Informationen einfach zu groß. „Wenn wir unsere Kräfte bündeln und zusammenarbeiten,“ so berichtet Amy Patterson, Direktorin für Wissenschaftspolitik an der amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH „können wir das Risiko verteilen und zu einer Vereinbarung kommen, die eine Win-win-Situation für alle Seiten ist.“
Angst vor Verlust von Know-how und Reputation
Ideen, wie so etwas funktionieren könnte, gibt es bereits: So könnten die Firmen die Daten zu nichtpatentierten Produkten in einen gemeinsamen Pool werfen. Daraus dürfen sich dann investitionsbereite Unternehmen bedienen. Auch bei Produkten mit Patentschutz sollen gemeinsame Lizenzvereinbarungen mit entsprechenden Partnern zu neuen Möglichkeiten für getestete und als sicher befundene Arzneien führen. Schließlich hoffen non-profit-Forschungsinstitute auf Spenden „aufgegebener“ Produkte, um sie für neue Einsatzzwecke zu testen.

Ganz einfach dürfte der Weg zu den wiedererweckten Archivschätzen nicht sein. Denn an den Daten zu erfolglosen, aber auch erfolgreichen Verbindungen hängt auch der Ruf der Firma. Wem gehören die Entwicklungsdaten bei alten Arzneien mit neuem Verwendungszweck? Umgekehrt ist die Angst groß, beim Schürfen auf unveröffentlichte und unliebsame Informationen von relevanten Studien zu stoßen. Von Pfizer, AstraZeneca oder Novartis stand dem Autor Asher Mullard von „Nature Reviews Drug Discovery“ für detaillierte Nachfragen nach dem Meeting niemand zur Verfügung.

Schürfen in der Genaktivierungs-Datenbank
Zwei taufrische Veröffentlichungen in „Science Translational Medicine“, zeigen aber, wie das Drug Repurposing“ in der Praxis aussehen könnte. Beide Arbeiten stammen aus der Gruppe von Atul Butte von der amerikanischen Stanford University. Buttes Team machte sich die Hypothese zu eigen, dass Krankheit und entsprechender Wirkstoff gegenläufige Steuerungsmechanismen im Körper bewirken. „Wenn ein Mittel ein Genaktivierungsmuster aufweist, das sich umgekehrt wie eine Krankheit verhält“, erklärt Butte, „so könnte dieser Wirkstoff dort eine therapeutische Wirkung haben.“ Die Wissenschaftler nutzten daher die entsprechenden öffentlichen Datenbanken von rund 750.000 Analysen zu spezifischen Aktivierung von Genen und pickten sich die Daten aus 164 Wirkstoffen und 100 verschiedenen Krankheiten heraus.

Für das Reizdarm-Syndrom zeigte die Software zwei wichtige Verbindungen auf: Zum einen Prednisolon, ein bereits bekanntes Kortikosteroid gegen die Darmentzündung, und Topiramat, ein Wirkstoff gegen Epilepsie und Migräne. Dass der Computer tatsächlich brauchbare Ergebnisse lieferte, bewies das Reizdarm-Rattenmodell. Der Überraschungskandidat verringerte tatsächlich die Schäden im entzündeten Darm. Ebenso überraschend wie Topiramat war die Wirkung des Antihistaminikums Cimetidin gegen Lungenkrebs. Sowohl gegen Zelllinien als auch im Tiermodell hinderte der „alte“ Bekannte aus den sechziger Jahren Krebszellen am Wachsen.
Warnung vor Off-label-Use
So viel versprechend die Ergebnisse unerwarteter „Nebenwirkungen“ gegen ganz andersartige Ziele sind, so warnt Butte davor, die Daten gleich in die Arztpraxis zu übertragen. Sie seien kein Freifahrtschein für die Selbstmedikation bei Krankheiten, bei denen andere Mittel nicht helfen oder zu teuer sind. Auch wenn die Sicherheits-Überprüfung beider Wirkstoffe inzwischen auch den langjährigen Praxistest bestanden hat, so müssen doch klinische Versuche die Wirkung bei den neuen Angriffszielen bestätigen.

Die Analyse des Genprofils ist wohl nur ein Weg zu neuen Anwendungen für erfolgreiche, aber auch gescheiterte Arzneimittel. Ein anderer ist die jahrelange Beobachtung von Toxizität und Nebenwirkungen, die für den neuen „Job“ vielleicht gerade passen. In den Gefriertruhen der Pharmafirmen und Forschungsinstituten, aber vor allem in Aktenschränken und auf Computerfestplatten lagern wahrscheinlich noch viele unentdeckte Schätze. Auch mit begrenztem Budget, mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit und mit Kreativität bei der Testentwicklung ließen sich wohl viele Therapielücken gerade bei vernachlässigten Leiden schließen.

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Daniel

#4

Beitrag von Daniel » Montag 5. September 2011, 08:11

Pharmazie
Alte Pillen, neue Aufgaben: "Contergan" gegen Lepra

Medikamente erleben mitunter einen zweiten Frühling. Thalidomid zum Beispiel. Die Arznei wurde Ende der 50er-Jahre unter dem Namen "Contergan" als Beruhigungsmittel und gegen Schwangerschaftsübelkeit eingesetzt.

Als Mediziner erkannten, dass der Wirkstoff in den ersten Monaten der Schwangerschaft schwere Fehlbildungen verursacht – das berüchtigte Contergan-Syndrom, mit dem weltweit 8000 bis 12 000 Kinder geboren wurden – nahm man ihn vom Markt. Heute wird dasselbe Mittel wieder eingesetzt: gegen die Infektionskrankheit Lepra und das Multiple Myelom, eine Krebserkrankung des Knochenmarks.

Das Molekül Sildenafil wurde zuerst als Mittel gegen Bluthochdruck untersucht, machte dann aber als Erektionsretter "Viagra" unter Männern Karriere und wird inzwischen auch gegen die seltene Krankheit Lungenhochdruck eingesetzt. Und "Aspirin", als Schmerzmittel genutzt und als Blutgerinnungshemmer, der das Risiko eines Herzinfarktes mindern soll, wirkt vermutlich auch manchen Krebserkrankungen entgegen.

Jetzt haben Forscher der Universität Stanford eine Methode entwickelt, um noch mehr Mittel aus der Mottenkiste der medizinischen Forschung einer zweiten Verwendung und Karriere zuzuführen. Um das Arsenal der Mediziner gegen nur schwer beizukommende Leiden aufzurüsten, wollen sie nun gezielt unter alten Medikamenten nach solchen neuen Nutzen fahnden. Zum Beweis ihrer Methode haben sie auch gleich zwei erste Kandidaten im Labor bestätigt. Für ihre Untersuchung verwendeten die Wissenschaftler öffentlich verfügbare Daten darüber, wie Medikamente und Krankheiten die Gene beeinflussen.



In jeder Zelle werden einige Gene häufig abgelesen andere selten oder nie. Forscher können dieses Muster schon seit vielen Jahren mit Hilfe von Genchips für alle 30 000 Gene des Menschen gleichzeitig bestimmen. Dabei wurde deutlich: Nicht nur die Symptome, auch diese Aktivitätsmuster der Gene unterscheiden bei bestimmten Krankheiten die Betroffenen von den Gesunden.

Pharmakologen nutzen dieselbe Technik, um herauszufinden, was bestimmte Arzneien mit den Genen anstellen. Das Team um den Systembiologen Atul Butte hat nun beide Datensätze zusammengeführt und die genetischen Muster der Krankheiten und Medikamente miteinander verglichen. "Unsere Hypothese war: Wenn eine Krankheit durch bestimmte Veränderungen in der Genaktivität charakterisiert ist und wenn eine Substanz genau die entgegengesetzten Veränderungen verursacht, dann könnte die Substanz als Medikament gegen die Krankheit taugen", sagt Butte.

Die Forscher verglichen die Daten für 100 Krankheiten mit denen für 164 Substanzen und suchten nach Paarungen, bei denen die genetische Signatur der Substanz das genaue Gegenteil der genetischen Signatur der Krankheit war. Für 53 Krankheiten fanden die Wissenschaftler solche Paarungen. Einige dieser Entdeckungen bestätigten lediglich, was bereits bekannt war, etwa, dass das Kortisonpräparat Prednisolon bei entzündlichen Darmerkrankungen hilft. Andere Verbindungen waren neu: So sagten die Tests voraus, dass das Epilepsie-Medikament Topiramat auch gegen entzündliche Darmerkrankungen helfen könnte. Und der Wirkstoff Cimetidin, der die Säureproduktion im Magen hemmt und gegen Sodbrennen eingesetzt wird, eignet sich möglicherweise auch als Therapeutikum bei einer bestimmten Form von Lungenkrebs.

Im Labor konnten die Forscher diese Vorhersagen in ersten Versuchen bestätigen. So tötet Cimetidin Lungenkrebszellen in der Petrischale und hemmt das Wachstum eines Lungentumors in Mäusen. "Patienten sollten jetzt aber nicht einfach beginnen, diese Medikamente zu nehmen. Zunächst muss in klinischen Studien untersucht werden, ob sie den betroffenen Menschen wirklich helfen", warnt Butte.

John Overington, Leiter der Gruppe Chemogenomik am Europäischen Institut für Bioinformatik bei Cambridge, bezweifelt, dass die beiden Kandidaten es weit bringen werden: "Topiramat hat sehr viele verschiedene Effekte und komplexe Nebenwirkungen und die Dosis von Cimetidin, die nötig war, um einen Effekt zu erzielen, war recht hoch", warnt er. Die Studie lobt er dennoch: "Das ist ein wirklich wichtiges Konzept. Es ist, als würden sie nach einem Gegengift für Krankheiten suchen", so der Mediziner.

Ähnlich sieht das Stefan Schreiber, Experte für die Genetik entzündlicher Darmerkrankungen an der Universität Kiel: "Wenn diese Therapie auch noch im Menschen wirkt, ist das natürlich toll. Das Wichtigste ist aber, dass jemand all diese vorhandenen Genomdaten genommen hat und gezeigt hat, was man damit machen kann", so der Gastroenterologe.

Seit Jahren untersuchen Forscher, welche alten Medikamente für neue Zwecke eingesetzt werden könnten. Denn neue Wirkstoffe zur Marktreife zu bringen, ist äußerst aufwendig. Im Durchschnitt dauert die Entwicklung eines neuen Medikaments mehr als zehn Jahre. Weil zugelassene Medikamente bereits zahlreiche Sicherheitstests hinter sich haben, können sie schneller und kostengünstiger entwickelt werden. Sind die Patente bereits abgelaufen, könnten sie außerdem sehr viel billiger sein als neue Wirkstoffe.

Overington sieht genau darin allerdings ein Problem: "Es ist schwer, sich vorzustellen, wie jemand damit Geld verdient", sagt er. Die nötigen klinischen Tests könnten immer noch weit mehr als 100 Millionen Euro verschlingen. Geld, das eine Pharmafirma nur dann aufbringt, wenn sie hinterher auch als Patentinhaber als Einzige das Medikament verkaufen und so die Kosten wieder einspielen kann. Butte hofft deshalb auf "kreative Lösungen". Eine Möglichkeit könnte seiner Meinung nach sein, dass die Medikamente in einer neuen Form dargereicht werden, so dass sie auf diese Weise ein neues Patent bekommen.

"Klar ist: Es gibt viele andere Verwendungen für einzelne Medikamente als die, die jeweils von Pharmafirmen vermarktet werden", sagt der Systembiologe. "Wir haben bewiesen, dass wir diese mit Hilfe öffentlich verfügbarer Daten am Computer finden können." Und die Menge dieser Daten nimmt ständig zu. Als der Forscher vor fünf Jahren die Untersuchung begann, hatte er Zugang zu Daten von 100 Krankheiten und 164 Medikamenten, heute wären es etwa 1400 Krankheiten und 300 Medikamente, sagt er. Da gäbe es noch viel zu entdecken.

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Daniel

#5

Beitrag von Daniel » Montag 12. September 2011, 15:08

Pharmakovigilanz wird immer wichtiger
Auf der Suche nach schweren Nebenwirkungen bei Medikamenten

Im Visier der Arzneimittelbehörden: Nebenwirkungen, die erst nach millionenfachen Gebrauch von Medikamenten auffallen können.
51 Prozent aller zugelassenen Arzneimittel haben zum Zeitpunkt der Zulassung nicht erkannte schwerwiegende Nebenwirkungen.
Wien. Historische Arzneimittelkatastrophen waren zu einem Gutteil durch Mängel in den Zulassungsverfahren für Medikamente bedingt. Doch schwere Nebenwirkungen mit einer Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens von einer Promille der Zahl der Anwendungen müssen auch in den nach modernsten Standards durchgeführten klinischen Studien nicht erkennbar sein. Deshalb wird die Pharmakovigilanz, die ständige Überwachung bereits zugelassener Arzneimittel, immer wichtiger. Dies erklärten Donnerstagabend bei einem Hintergrundgespräch AGES PharmMed-Chef Marcus Müllner und die Leiterin der entsprechenden Abteilung, Bettina Schade.

Die Datenmengen, welche die nationalen sowie EU-Arzneimittelbehörden bzw. -Agenturen bezüglich der Medikamente überblicken müssen, sind enorm. Müllner: "Wir haben in der EU 300.000 bis 400.000 Arzneimittel. In Österreich sind es rund 12.000. Es handelt sich aber nur um 3.500 bis 4.000 Wirkstoffe. Wir führen in Österreich pro Jahr zwischen 150 bis 200 nationale Arzneimittelzulassungen durch. 700 bis 800 werden in der EU durch gegenseitige Anerkennung oder dezentral zugelassen. Über die Europäische Arzneimittelagentur EMA läuft die zentrale Zulassung in der EU. Das sind pro Jahr 50 bis 100 Verfahren."

Forschung in der Medizingeschichte
Geschichtlich spiegelt sich die moderne Kultur der Arzneimittelsicherheit in der Geschichte von Unglücksfällen. Bettina Schade: "1848 starb in Großbritannien das junge Mädchen Hannah Greener bei der Entfernung eines Zehennagels an der Chloroform-Narkose. Der 'Lancet' (traditionsreiche britische Medizin-Fachzeitschrift, Anm.) setzte eine Evaluierungskommission ein und rief zur Meldung ähnlicher Fälle auf." Rund 100 Todesfälle durch ein Sulfonamid-Elixier in den USA im Jahr 1936 führten dort zur Etablierung einer geregelten Form der Arzneimittelzulassung. In Europa war die Contergan-Affäre im Jahr 1962 mit an die 10.000 Fällen von Missbildungen (die meisten in Deutschland, in Österreich nur sehr wenige, Anm.) der Wendepunkt.

Trotzdem, so die Expertin: "Nebenwirkungen sind in den USA die vierthäufigste Todesursache (106.000 Todesfälle, Anm.). 51 Prozent aller zugelassenen Arzneimittel haben zum Zeitpunkt der Zulassung nicht erkannte schwerwiegende Nebenwirkungen. Zwei bis sechs Prozent aller Hospitalisierungen sind auf Nebenwirkungen zurückzuführen."
Das Problem liegt darin, dass die klinischen Studien, die zur Zulassung eines Arzneimittels führen, durch die notwendige zahlenmäßige Beschränkung der Probanden keinesfalls dazu geeignet sind, seltene schwerwiegende, potenzielle Probleme zu entdecken. Die Leiterin der Abteilung für Pharmakovigilanz: "Für seltene Ereignisse, die in einem Promille der Fälle auftreten, bräuchte man eine Studie mit mindestens 3.000 Patienten." Eine Nebenwirkung mit einer Häufigkeit von eins zu 10.000 sprengt alle Möglichkeiten von Zulassungsstudien.

Um den systembedingten Defiziten in der Sensitivität von klinischen Studien bei der Entdeckung potenzieller Arzneimittelprobleme zu begegnen, werden international immer feinere Pharmakovigilanz-Netze gespannt. AGES PharmMed-Spezialistin Bettina Schade bei dem Hintergrundgespräch am Donnerstag in Wien: "Wir suchen die unbekannte, unerwartete, schwere Nebenwirkung. Jedes Arzneimittel hat auch ein Risiko in sich."

Risikomanagementplan
Das geschieht über diese Vigilanzsysteme, welche Behörden und Zulassungsinhaber betreiben müssen. Weiters wird im Rahmen des Arzneimittel-Zulassungsverfahrens für jedes Medikament ein Risikomanagementplan erstellt. National und zunehmend international werden Spontanmeldungen (verpflichtend für Ärzte, Apotheker etc.) in riesigen Datenbanken aufgearbeitet, um solche "Signale" wahrzunehmen, einzuordnen und ihnen auf ihre Bedeutung nachzugehen. Die meisten Informationen kommen aber derzeit aus den von den Zulassungsbehörden jedem Pharmahersteller vorgeschriebenen periodischen Sicherheits-Update-Berichten, in denen alle eingehenden Informationen zum Sicherheitsstatus eines auf dem Markt befindlichen Medikamentes einfließen und ausgewertet werden können.

Bettina Schade: "Trotzdem sehen wir noch immer nur die 'Spitze des Eisbergs'." Und selbst wenn Probleme offenkundig werden, ist es noch immer eine heikle Sache, welche Schritte dann erfolgen. Soll die Fach- und Gebrauchsinformation verändert werden? Soll das Anwendungsgebiet eines Medikaments angepasst oder gar die Zulassung aufgehoben werden?"

Risiko geringer als Nutzen
An sich werden Medikamente vor allem nur dann zugelassen, wenn ihr Nutzen größer als ihr Risiko und kleiner als die Gefahr durch die Erkrankung bzw. die Nichtbehandlung ist. Gleichzeitig müssen sie zumindest gleich gut wie andere in der Therapie vorhandene Arzneimittel sein. Diese Prinzipien gelten aber auch für die Maßnahmen der Arzneimittelsicherheits-Spezialisten: Sie dürfen auch nicht mehr Schaden als Nutzen anrichten.

In den Fällen von zwei bekannten Arzneimitteln gelang es jedenfalls in den vergangenen Jahren, durch einfache Maßnahmen das Risiko zu minimieren: Ein Hormon-Nasenspray für bettnässende Kinder führte immer wieder zu potenziell lebensgefährlichen Überdosierungen. Hier wurde auf Lutschtabletten umgestellt. Die Pharmavigilanz-Spezialistin: "Seither haben wir das Problem nicht mehr." Die Kinder nehmen nicht gern mehr Tabletten ein, ein Nasenspray ist schwieriger zu dosieren. Und weil ein altbekannter und ehemals generell rezeptfrei erhältlicher Schnupfen-Nasenspray bei Kindern zu Kreislaufproblemen führte, wurde er in Österreich bis zum Alter von sechs Jahren mit Rezeptpflicht belegt. Auch das brachte mehr Sicherheit.

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Daniel

#6

Beitrag von Daniel » Montag 12. September 2011, 15:10

Naturheilkunde - Naturheilverfahren » News
Medikamente erhöhen das Fehlgeburten-Risiko
Schmerzmittel und Entzündungshemmer erhöhen das Fehlgeburten-Risiko

09.09.2011

Die Einnahme entzündungshemmender Medikamente in der Schwangerschaft erhöht offenbar das Risiko einer Fehlgeburt. Zu diesem Ergebnis kommen kanadische Forscher der Universität Montreal bei der Auswertung der medizinischen Daten von 4.705 Frauen, die innerhalb der ersten 20 Schwangerschaftswochen eine Fehlgeburten erlitten hatten.

Wie die Wissenschaftlern in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Canadian Medical Association Journal“ berichten, wurden 352 der 4.705 Frauen, die einen Abort erlitten, im Vorfeld beziehungsweise der Frühphase ihrer Schwangerschaft sogenannten nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAID) als Entzündungshemmer verordnet. Die Zahlen bestätigen den Verdacht, dass die Einnahme entzündungshemmender Mittel das Risiko einer Fehlgeburt erhöht, insbesondere wenn die Arzneimittel in den ersten Schwangerschaftswochen eingenommen werden, erklärten die kanadischen Forscher. Die Mediziner raten daher zum generellen Verzicht auf entzündungshemmende Medikamente in der Schwangerschaft.

Fehlgeburt-Risiko durch Entzündungshemmer erhöht
Die Arzneimittelgruppe der NSAID umfasst schmerzstillende Entzündungshemmer, die auch zur Fieber-Senkung und Hemmung der Blutgerinnung beitragen. Aufgrund der drohenden Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Magen- und Darmgeschwüren oder Nierenerkrankungen sollten die Entzündungshemmer jedoch generell nur über einen kürzeren Zeitraum eingenommen werden, warnen die Experten. Die aktuelle Studie legt darüber hinaus den Schluss nahe, dass in der Schwangerschaft am besten gänzlich auf die entzündungshemmenden Medikamente verzichtet werden sollte, da ein besorgniserregend hoher Anteil der Frauen, die einen Abort erlitten, vorher NSAID eingenommen hatte, berichten die Forscher der Universiät von Montreal. In der Vergleichsgruppe mit 47.050 Frauen ohne Fehlgeburt erhielten zwar auch 1.213 Frauen NSAID, doch ihr Anteil an der Gesamtmenge der Referenzgruppe sei zu gering, um dies als Entwarnung zu verstehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Entzündungshemmer das Risiko einer Fehlgeburt deutlich erhöhen, erklärten die Wissenschaftler.

Oft gravierende Nebenwirkungen in der Schwangerschaft
In Bezug auf die einzelnen Medikamente habe sich die deutlichste Erhöhung des Frühgeburt-Risikos bei dem Medikament Diclofenac gezeigt. Aber auch das relativ häufig verwendeten Ibuprofen, brachte ein erhöhtes Fehlgeburt-Risiko mit sich, berichten die kanadischen Forscher. Vor allem der Einsatz in den ersten Schwangerschaftswochen ist den Wissenschaftlern zufolge besonders kritisch, doch Diclofenac untersagt in den Angaben des Beipackzettels lediglich die Verwendung in dem letzten Schwangerschaftsdrittel. Auch warnt der Hersteller davor, dass Diclofenac die Wehen verhindern und die Geburt verzögern könne. Bei der Einnahme zu Beginn der Schwangerschaft ist laut Beipackzettel ebenfalls Vorsicht geboten und Schwangere sollten den den Wirkstoff nur einnehmen, wenn ihr Arzt dies für unumgänglich hält. Denn dem Hersteller zufolge ist mit der Einnahme von Diclofenac in der Schwangerschaft ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko bei den ungeborenen Kindern verbunden. Hinzu kommt offenbar das wesentlich erhöhte Risiko einer Fehlgeburt, wie die kanadischen Wissenschaftler in ihrer aktuellen Studie nun herausfanden. Gleiches gelte für vergleichbare Wirkstoffe aus der Gruppe der NSAID, mahnen die Experten. Daher sollten Frauen in der Schwangerschaft am besten vollständig auf Schmerzmittel und Entzündungshemmer verzichten, so das Fazit der kanadischen Forscher.

Vorsicht bei Medikamenten in der Schwangerschaft
Spätestens seit dem Contergan-Skandal Mitte des 20. Jahrhunderts, sind die Risiken einer unbedachten Medikamenteneinnahme während der Schwangerschaft nicht nur in der Wissenschaft sondern auch in der Öffentlichkeit bekannt. Der Contergan-Wirkstoff hatte bei Einnahme in der Schwangerschaft schwere Missbildungen der Kinder zufolge, da das Wachstum der Gliedmaßen durch das Präparat verhindert wurde. Auch bei Schmerzmitteln besteht laut Aussage der Experten generell Grund zur Vorsicht, da diese zur Folge haben können, dass sich ein spezielles Blutgefäß schließt, welches die ungeborenen Kinder bis zur Geburt eigentlich dringend benötigen. Auch die mit verschiedenen Arzneimitteln verbundene Unterdrückung der Wehenbereitschaft sowie die Hemmung der Blutgerinnung können im Verlauf der Schwangerschaft zu erheblichen Komplikationen führen, mahnen die Wissenschaftler. Bevor ein Medikament zum Einsatz kommt, sollten Schwangere daher dringend einen Arzt konsultieren und sich auch über mögliche Behandlungsalternativen zum Beispiel aus dem Bereich der Naturheilkunde, Hausmittel oder Homöopathie informieren. (fp)

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Daniel

#7

Beitrag von Daniel » Montag 12. September 2011, 15:11

Dokumentation "Profit vor Menschenrecht - Die Geschichte des Contergan - Verbrechens vom Dritten Reich bis heute"
10.09.11
SozialesSoziales, Wirtschaft, News



von Untersuchungsausschuss Conterganverbrechen (U.A.C.)

Am 6. und 7. September besuchte eine Abordnung des Untersuchungsausschusses Conterganverbrechen (U.A.C.) die Bundeshauptstadt Berlin.

Anlass der Reise waren die Übergabe der aktuellen Dokumentation "Profit vor Menschenrecht - Die Geschichte des Contergan - Verbrechens vom Dritten Reich bis heute" an Parlamentarier, den Behindertenbeauftragten der Bundesregierung (Herr Hubert Hüppe), und die Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder. Ferner sollten die unausgefüllten Fragebögen der umstrittenen Studie bzgl. der "noch zu ermittelnden Hilfsbedarfe" der Opfer des Conterganverbrechens der zuständigen Abteilung 3 (Ministerialdirektor Dieter Hackler) des Bundesfamilienministeriums überreicht werden.

"Das die verantwortlichen Stellen in Berlin nicht bereit sind die Wahrheit und das ganze Ausmaß des Conterganverbrechens zur Kenntnis zu nehmen, wussten wir schon aus vergangenen Gesprächen. Gerade deswegen hatten wir unser Kommen bei diesen Stellen diesmal nicht angemeldet. Womit wir aber nicht gerechnet hatten, das war die ignorante Arroganz, die uns diesmal entgegen schlug.

Offensichtlich hat man in Berlin vergessen, dass die Bundesregierung den Opfern des Conterganganverbrechens immer noch den Schadensersatz schuldet. Man meint offensichtlich uns als lästige Bettler und Bittsteller nach "ostelbischer Gutsherrenart" behandeln zu können und vergisst, dass die Bundesregierung in Sachen Conterganopfer nichts anderes, als ein zahlungsunwilliger Schuldner ist, der sich im Glauben an seine politische Macht und eine "biologische Endlösung" unserer berechtigten Ansprüche mit ministerialbürokratischen, gesetzlichen und juristischen Spitzfindigkeiten seinen Zahlungsverpflichtungen entziehen will", erklärt die stellvertretende Sprecherin des U.A.C., Gihan Higasi.

"Natürlich hatten wir nicht erwartet oder erhofft, dass wir von politischen Entscheidungsträgern empfangen würden. Dass wir aber vor der Dienststelle des Bundesbehindertenbeauftragten auf der Straße stehen gelassen wurden, dass dessen Assistentin sich nicht einmal zu uns herab bemühte um die Dokumentation entgegen zu nehmen und, dass wir diese letztendlich einem Pförtner übergeben mussten, hat doch zu erheblichen Irritationen bei uns geführt", fügt Stephan Nuding (Sprecher des U.A.C. und Verfasser der Dokumentation) hinzu.

Eine noch diskriminierendere Erfahrung erlebten die U.A.C.´ler dann im Bundesfamilienministerium. Nachdem sie sich an der Pforte angemeldet und mitgeteilt hatten, dass sie Fragebögen und Dokumentation bei Frau Ministerialrätin Petra Weritz - Hanf abgeben möchten, wurde diese telefonisch informiert. Zunächst hieß es nach telefonischer Rücksprache mit Frau Weritz - Hanf , dass man im Foyer warten möge. Schließlich, nach ca. 10 Minuten Wartezeit, ließ die Dame erklären, dass die Fragebögen und die Dokumentation am Empfang abgegeben werden sollten. Offensichtlich sind im Familienministerium, zumindest im Umgang mit Conterganopfern, mitteleuropäische Umgangsformen nicht bekannt!!!

"Sie werden sich den Fakten des Conterganverbrechens und den daraus resultierenden Konsequenzen stellen müssen. Ob sie wollen oder nicht!!!! Da hilft es auch nicht den Kopf in den Sand zu stecken und zu glauben , dass man uns ignorieren kann. Deshalb haben wir auch eine Dokumentation für Frau Ministerin Dr. Kristina Schröder im Familienministerium hinterlassen. Sie werden sich den Fakten stellen müssen, wenn nicht heute dann morgen!", heißt es aus den Reihen des U.A.C..

Weitere Punkte auf dem Besuchsprogramm des U.A.C. waren eine kurze Spontandemonstration vor dem Reichstag und ein informelles Gespräch mit dem behindertenpolitischen Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Dr. Ilja Seifert, der die Dokumentation zum Conterganverbrechen mit Interesse entgegen nahm.
Der Besuch der Gedenkstätte für die Opfer der NS - Euthanasie in der Tiergartenstraße rundete den Aufenthalt des U.A.C. in Berlin ab.

Der Besuch des U.A.C. wurde mit einem Film dokumentiert, der in den nächsten Tagen veröffentlicht wird.




VON: UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS CONTERGANVERBRECHEN (U.A.C.)

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Daniel

#8

Beitrag von Daniel » Montag 12. September 2011, 15:13

Bahnhofsbegehung: Linke laden Experten nach Hockenheim und Neulußheim ein / "Keine Chance für Menschen mit Behinderung" / Kritik an Bahn-Geschäftsgebaren
Zustände im Widerspruch zu UN-Konvention

Von unserem Redaktionsmitglied Vanessa Schäfer

Neulussheim/Hockenheim. Allein schon beim Anblick der vielen Treppenstufen gerät man aus der Puste. Senioren mit Gehhilfe oder Mütter mit Kinderwagen sind ohne fremde Hilfe kaum in der Lage, den Bahnsteig zu betreten. Für Menschen mit Behinderung ist es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Zu diesem Ergebnis kamen die Linken am Freitag bei der Begehung der Bahnhöfe Neulußheim und Hockenheim.

Neu war diese Erkenntnis nicht. Doch: "Es geht uns darum, diese Tatsache ins Bewusstsein zu rücken", so Heinrich Stürtz, Mitglied des Landtags (MdL). An der Besichtigung der beiden Haltepunkte nahm nicht nur die Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig teil, auch Gotthilf Lorch, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft selbstbestimmter Behindertenpolitik der Linken in Baden-Württemberg, sowie Irene Müller, MdL aus Mecklenburg-Vorpommern, waren dabei. Lorch ist durch Contergan geschädigt und so an einen elektrischen Rollstuhl gebunden. Müller ist im Alter von 31 Jahren erblindet.
Ohne Bahn-Personal verloren

"Ich habe keine Chance, hier runterzukommen, um den Zug zu nutzen", bemängelte Lorch. Doch selbst wenn diese Möglichkeit vorhanden wäre: Ohne Bahnhofspersonal, das ihn mit einer Hebebühne unterstützen würde, käme der Tübinger nur in Züge mit ebenem Einstieg hinein.

Für Parteimitglied Gerhard Millgramm stellen die beiden Bahnhöfe ebenfalls eine Hürde da. "Wenn ich einen Koffer diese Treppen hochtragen müsste, wäre ich halbtot", so der Mannheimer, der vor ein paar Jahren an Lungenkrebs erkrankte. Kein Blindenleitsystem, keine geriffelten Aufmerksamkeitsfelder an Treppenanfang und -ende, keine akustischen, zentral gesteuerten Bahnhofsansagen, schlechte Lichtverhältnisse - die Liste der Defizite an beiden Bahnhöfen ist lang.
Vernachlässigung verwundert

"Gerade hier in der Region gibt es viele Einrichtungen für Behinderte und Kranke. Umso seltsamer ist es, dass im Bereich Barrierefreiheit nichts getan wird", äußerte Bundestagsabgeordnete Leidig Unverständnis. Dabei sei seit März 2009 die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen in Deutschland in Kraft. "Solange die gilt, werden wir in dem Bereich aktiv sein", versprach Müller.

Schließlich seien rund zehn Prozent der Bevölkerung auf Barrierefreiheit angewiesen, weitere 40 Prozent bedingt. Dazu zählt auch die Hockenheimer Bürgerin Dorothea Kunisch. Die Seniorin ist agil, kommt gerne noch herum - selbst wenn sie zu Fuß nicht mehr ganz so fit ist. "Ich verreise trotzdem gerne und besuche in Karlsruhe Kurse. Aber der Bahnsteig zwei in Hockenheim ist eine Katastrophe", veranschaulichte die rüstige Rentnerin bei der anschließenden Diskussionsveranstaltung in der DJK-Sportgaststätte.

Mobilität für alle durchzusetzen - das ist das Ziel, das Bundestagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin Sabine Leidig verfolgt. "Denn das bedeutet Teilhabe an der Gesellschaft."

Dass in Stuttgart 21 fünf Milliarden Euro fließen, am behindertengerechten Ausbau von Bahnhöfen allerdings gespart werde, kann auch Andreas Scheibner von der Kreisarbeitsgemeinschaft selbstbestimmter Behindertenpolitik in Mannheim nicht verstehen.

Doch es gibt Aussichten: Im Juli hat der Kreistag beschlossen, dass die Bahnhöfe der Region bis 2015 barrierefrei sein müssen. "Die Forderung in Neulußheim und Hockenheim muss dabei sein, dass der Ausbau von je zwei barrierefreien Aufzügen als Erstes in Angriff genommen wird", appellierte Joachim Buchholz, Kreisrat der Linken.

Denn trotz der damit einhergehenden hohen Kosten für die Kommunen sei damit der erste Schritt zur Erfüllung der UN-Konvention getan - ein wichtiger Schritt. "Schließlich sind die Barrieren in den Köpfen meist am größten", so Müller abschließend.

Schwetzinger Zeitung
12. September 2011
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Daniel

#9

Beitrag von Daniel » Montag 12. September 2011, 15:16

Das Leben und der Tod: Kasselerin will ihren Körper ausstellen lassen
Kassel. Sabine Kuhnt redet über den Tod wie vom letzten Urlaub: locker, leicht, unbeschwert. „Wenn ich tot bin, bin ich tot“, sagt sie, die mit ihren 50 Jahren mitten im Leben steht.

Sie arbeitet als Finanzbuchhalterin bei einem Energiekonzern. Mit ihrer Mutter hat sie kürzlich eine neue Wohnung bezogen, ein Penthouse im angesagten Kasseler Stadtteil Vorderer Westen. Wenn das Wetter schön ist, wird das Obergeschoss lichtdurchflutet, die Katzen Conny und Desti räkeln sich in der Sonne - und der Blick fällt auf Kinder, die unten vor der Haustür Fußball spielen.
Als Sabine Kuhnt diese vor zehn Jahren in Heidelberg besuchte und die plastinierten Leichen sah, war ihr sofort klar: „Das ist es, das willst du auch.“ Prompt schloss sie einen Vertrag mit dem Institut für Plastination, das der umstrittene Wissenschaftler Gunther von Hagens gegründet hat und das die anatomischen Präparate herstellt - teilweise für Körperwelten, teilweise für die Forschung.
Bis heute hat Sabine Kuhnt ihre Entscheidung nicht bereut. Im Gegenteil. Sie spricht immer noch mit reichlich Faszination über die möglichen Folgen ihrer Entscheidung: „Es wäre doch cool, wenn ich da mal stehen würde.“ Und dann erzählt sie noch von der Reaktion einer Freundin, die gesagt habe: „Wenn ich eines Tages die Ausstellung besuche, werde ich Dich gleich erkennen - an den Armen.“
Mit zehn Jahren ins Internat

Sabine Kuhnt ist contergan-geschädigt: Ihre Arme sind extrem verkürzt; wenn sie Kaffee trinkt, dann hält sie die Tasse mit den Zehen ihres linken Fußes. Mit zehn Jahren kam sie aus ihrer Heimatstadt Hannover ins Internat für Körperbehinderte nach Hessisch Lichtenau, weil es ihr nur da möglich war, Abitur zu machen. Früh wurde sie hier mit dem Tod konfrontiert: „Eine Freundin dort litt an Muskelschwund, sie starb mit zehn Jahren.“

Womöglich ist das der Grund, warum sie einerseits das Leben lebt und sich andererseits intensiv mit dem Danach auseinandersetzt. „Ich weiß halt, dass der Tod auch in frühen Jahren kommen kann und nicht erst mit 80 oder 90.“ Früher hat sie das Kasseler Nachtleben ausgiebig genossen, wie sie sagt. Heute ist sie zwar ein bisschen ruhiger geworden, aber sie macht immer noch das, worauf sie gerade Lust hat: Ihren Körper zieren ein Dutzend Tattoos, auf ihrem Rücken ist ein Katzengesicht zu sehen. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite engagiert sich Sabine Kuhnt im Hospizverein, sie begleitet Menschen beim Sterben - oder sie begleitet die Angehörigen der Sterbenden.

Das Leben und der Tod. Sabine Kuhnt ist die einzige in ihrer Gruppe des Vereins, die nicht an Gott glaubt. Sie ist da sehr pragmatisch: „Ich denke nicht, dass ich als Bundeskanzlerin wiedergeboren werde. Wenn ich tot bin, ist alles weg - nur eben der Körper nicht.“ Daher soll es für ihren Körper eine Verwendung geben. Die Kritik der Kirche und von Interessengruppen, die Plastinationen von Menschen würdelos finden, prallt an ihr ab. In ihrem Umfeld wird sie eher bewundert als verachtet für ihren Entschluss. „Die finden das alle klasse. Nur selber machen würde es keiner.“

Nur ihre Mutter ist weiter skeptisch, obwohl sie vor gar nicht langer Zeit ihre Tochter zu einem Treffen der Körperspender im brandenburgischen Guben begleitet hat und durchaus angetan war von diesem Treffen. Aber: „Ich gehöre eben noch einer Generation an, die mitbekommen hat: So etwas macht man nicht“, sagt Ursula Frixen.

Sie ist 86 und weiß, dass sie eines Tages auf einem Friedhof in Hannover beigesetzt wird. Da wäre auch noch Platz für ihre Tochter. Sabine Kuhnt aber sagt: „Ich bin nicht verheiratet, habe keine Kinder. Es wird keiner scharf drauf sein, meine sterblichen Überreste zu pflegen.“ Und überhaupt: „Mein Vater und mein Bruder sind auch auf dem Friedhof. Aber ich brauche keinen Friedhof, damit sie bei mir sind. Sie sind hier“, sagt sie und blickt in die Weite der Wohnung. „Sie leben in den Gesprächen weiter.“
„Bin relativ einmalig“

Als Sabine Kuhnt sich 2002 dafür entschied, Körperspenderin zu werden, begründete sie das damals schriftlich. In dem Aufnahmebogen steht: „Ich würde gern nach meinem Tod noch etwas Sinnvolles bewirken. Wenn angehende Ärzte die Möglichkeit haben, durch mich an Erfahrung reicher zu werden, habe ich etwas hinterlassen, das eventuell mehreren Menschen nützlich sein kann. Sollte ich als Ganzkörperplastinat enden, denke ich, dass das interessant für die Nachwelt ist. Durch meine Behinderung (Contergan-Schaden) bin ich relativ einmalig, da es so etwas nicht mehr geben wird.“

Die Körperspender können dann noch angeben, was auf keinen Fall nach ihrem Tod mit ihnen geschehen soll. Viele wollen nicht, dass die Augen plastiniert werden, viele wollen anonym bleiben, sollte ihr Körper zum Plastinat werden. Sabine Kuhnt hat keine Einschränkungen gemacht.

Von Florian Hagemann

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Daniel

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Beitrag von Daniel » Mittwoch 14. September 2011, 18:28

14.09.2011 - 07:20
Ilja Seifert nahm Buch zum Thema Contergan entgegen

Berlin (kobinet) Vor dem Contergan-Festival, das am 17. September in Nürtingen stattfindet, überreichte Stephan Nuding sein aktuelles Buch an Dr. Ilja Seifert im Bundestag. Auch die Bundesregierung und Bundesbehindertenbeauftragter Hubert Hüppe erhielten ein druckfrisches Exemplar des Buches.

Ilja Seifert nahm die Buchübergabe zum Anlass für eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung, deren Antwort bis zum 16. September vorliegen muss. Darin fragt er: "Bis wann und in welcher Form wird die Bundesregierung eine fundierte Stellungnahme zu den in dem Buch ‚Profit vor Menschenrecht – Die Geschichte des Contergan-Verbrechens vom Dritten Reich bis heute‘ von Stephan Nuding gegen sie und andere Bundesbehörden gerichteten Vorwürfe abgeben?“

Ilja Seifert wird auch am 17. September an der Veranstaltung in die Stadthalle von Nürtingen teilnehmen und zur anschließenden Open-House-Party gehen. moh

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Daniel

#11

Beitrag von Daniel » Freitag 16. September 2011, 08:02

Mit kreativem Kampf durchs Leben

Wendlingen. Petra Bader ist ein Mal mit Armprothesen über die König­straße in Stuttgart geschlendert. Ein einziges Mal. Doch die 49-Jährige


Heike Allmendinger

wurde nicht angeguckt – zumindest nicht so wie sonst. „Ich habe gemerkt: Das bin einfach nicht ich“, erzählt Petra Bader, die ihre Armprothesen seither nie wieder benutzt hat. Durch das Leben geht die Wendlingerin viel lieber so, wie sie ist – ohne Arme. Und die Menschen schauen wieder. Das ist sie gewohnt, damit hat sie zu leben gelernt.

Die Blicke der Leute kann die Wendlingerin, die als Contergan-Opfer ohne Arme auf die Welt gekommen ist, problemlos deuten. Da gibt es die bemitleidende Sorte, aber auch die bewundernde. Wenn jemand regelrecht starrt, dann sorgt die Mutter zweier Töchter schon mal kurzerhand für Ernüchterung. In solchen Situationen konfrontiert sie ihr Gegenüber mit frechen Sprüchen wie zum Beispiel: „Was ist los? Wollen Sie ein Passbild?“ Das rüttelt die Leute wach, hat die 49-Jährige beobachtet. Diskriminierungen und abfälligen Bemerkungen, die Petra Bader immer wieder zu spüren bekommt, begegnet sie nie stillschweigend. „Man muss sich wehren. Sonst schafft man den Blick in den Spiegel nicht mehr.“

Petra Bader ist eine starke Frau. Doch sie hat auch lernen müssen sich durchzuboxen. „Ich habe mir immer Ziele gesetzt. Und ich wusste, an meine Tür klopft niemand. Ich muss selber raus. Das ist wichtig“, unterstreicht die 49-Jährige. Ihre Mutter hat das damals rezeptfreie Medikament Contergan, das auch zur Linderung von Schwangerschaftsbeschwerden empfohlen wurde, in flüssiger Form zu sich genommen. Nur einen Teelöffel davon hat sie geschluckt. Einen Teelöffel zu viel. „Sie hat es nie überwunden“, weiß Petra Bader und fügt hinzu: „Es leiden drei Generationen darunter: meine Mutter, ich und auch meine Töchter.“

An ihre Kindheit und Jugend erinnert sich Petra Bader gerne. Das sei eine schöne Zeit gewesen, sagt sie. Zwischen ihrem siebten und 21. Lebensjahr war die Wendlingerin in einem Internat für Kinder und Jugendliche mit Behinderung in Heidelberg untergebracht. Dort legte sie die mittlere Reife ab und absolvierte eine Ausbildung zur Industriekauffrau. „Das Internat war ein großes Zentrum mit Kino und Disko – einfach allem, was man sich vorstellen kann.“ Die anderen Kinder und Jugendlichen hatten ähnliche Behinderungen wie sie. Es gab keine Diskriminierungen. „Aber es war irgendwie auch wie in einem Ghetto“, sagt Petra Bader rückblickend. Denn man brauchte nicht rauszugehen, alles war vor Ort. Kontakte nach außen zu knüpfen, war undenkbar.

„Ich habe dort eine normale Pubertät durchlaufen“, erinnert sich die Wendlingerin. Umso schwerer fiel es ihr, als sie das Internat schließlich verließ und in der „richtigen Welt“ ein neues Leben begann. Zwei Jahre lang half sie zunächst in der Firma ihres Vaters mit und lebte in einer eigenen Wohnung im elterlichen Haus. Anschließend zog sie nach Stuttgart und arbeitete sieben Jahre beim Versorgungsamt und ein Jahr beim Landratsamt in Esslingen. Doch dann erlitt sie sieben Bandscheibenvorfälle. An Arbeit war nicht mehr zu denken. Deshalb bezieht Petra Bader mittlerweile Erwerbsunfähigkeitsrente. „Ich habe immer gerne gearbeitet. Man rutscht auch ein bisschen ins soziale Abseits, wenn man keine Arbeitskollegen mehr trifft.“ Doch auch mit dieser Situation hat sich die selbstbewusste Frau arrangiert. „Es blieb mir ja auch nichts anderes übrig.“

Ihren Alltag bewältigt die Wendlingerin, die geschieden ist und mit ihren 16 und 18 Jahre alten Töchtern ein Reihenhaus bewohnt, ohne größere Probleme. „Man muss kreativ sein“, erklärt die 49-Jährige schulterzuckend und erzählt, wie sie mit dem Fuß den Herd putzt oder sich die Haare wäscht. „Bis zur dritten Klasse habe ich alles mit den Füßen gemacht, auch geschrieben. Doch dann kam die Eitelkeit“, erzählt Petra Bader schmunzelnd. Heute schreibt und telefoniert sie beispielsweise mit den Händen. Mit den Zähnen, die sie als „Greifwerkzeug“ bezeichnet, öffnet sie hingegen Verpackungen. „Außerdem habe ich meine Töchter, als sie noch Babys waren, mit den Zähnen getragen, indem ich mich an ihrer Kleidung festbiss.“

Obwohl Petra Bader momentan gut zurechtkommt, hat sie auch Angst vor der Zukunft. „Die Schmerzen nehmen zu, weil meine Bewegungsabläufe atypisch sind. Ich stehe viel auf einem Bein, das belastet die Knie. Außerdem ist die Knochensubs­tanz von Contergan-Geschädigten mit der von 70-Jährigen vergleichbar.“ Eine weitere Sorge ist der finanzielle Aspekt. Denn das Leben mit Behinderung sei sehr teuer, und die Krankenkasse übernehme nur wenige Hilfsmittel, die den Alltag erleichtern. Die Umrüstung ihres Autos hat Petra Bader beispielsweise selbst übernehmen müssen – ebenso das elektrische Garagentor und die elektrischen Rollläden.

Petra Bader setzt sich deshalb als Mitglied des Contergan-Netzwerks Deutschland für eine angemessene Entschädigung der 2 800 Contergan-Opfer in der Bundesrepublik ein. Hier kämpft sie vor allem „für diejenigen, die nicht so viel Glück hatten wie ich“. Damit meint sie Contergan-Opfer, die keine Arme und Beine haben und unter der Armutsgrenze leben müssen. Sie erhielten – genauso wie sie selbst – die monatliche Höchstrente in Höhe von 1 127 Euro. „Die Pflege kostet bei ihnen aber 12 000 Euro im Monat.“

Zwar hat Firma Grünenthal, die das Medikament Contergan im Jahr 1957 auf den Markt brachte, vor zwei Jahren weitere 50 Millionen Euro für die Opfer gestiftet. Doch der deutsche Staat verteile dieses Geld auf 25 Jahre, ärgert sich Petra Bader. „Das heißt zum Beispiel für mich, dass ich 25 Jahre lang jährlich nur 2 300 Euro erhalte.“

Die Bundesrepublik habe die Firma Grünenthal damals, als der Contergan-Skandal ans Licht kam, aus ihrer Schuld entlassen. „Sie hat die Verantwortung übernommen und stellt sich ihr überhaupt nicht.“ Im Jahr 2009 hatte das Contergan-Netzwerk Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht – sie blieb jedoch erfolglos. „Das Gericht nahm die Beschwerde nicht einmal an, mit der Begründung, wir seien keine Sonderopfer. Aber was sind wir denn dann, frage ich mich.“

Aktuell läuft ein Beschwerdeverfahren beim europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Darauf ruht nun die Hoffnung der Contergan-Geschädigten. Doch auch, wenn die­se Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg führen sollte, geben die Mitglieder des Contergan-Netzwerkes keineswegs auf, betont Petra Bader. „Wir hören erst auf zu kämpfen, wenn das Licht ausgeht.“

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Daniel

#12

Beitrag von Daniel » Sonntag 18. September 2011, 08:34

Erstes Contergan-Symposium in Nürtingen
Das erste Conterganopfer-Symposium macht auf die Belange contergangeschädigter Menschen aufmerksam

Sozialministerin Katrin Altpeter: Ein selbstbestimmtes Leben in Würde für alle Menschen ist ein wichtiges Anliegen der Landesregierung

17.09.2011Sozialministerin Katrin Altpeter besuchte am heutigen Samstag (17.09.) das erste Contergan-Symposium der Selbsthilfe-Bundesorganisation „Contergannetzwerk Deutschland“ in Nürtingen. In ihrer Rede würdigte sie die Arbeit des Vereins: „Sie nehmen sich der Probleme von den etwa 2800 in Deutschland lebenden Conterganopfern an. Sie dienen als Plattform für den gegenseitigen Austausch und sind Hilfe zur Selbsthilfe. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar“, so die Ministerin.

54 Jahre ist es her, dass der Contergan-Skandal für Schlagzeilen sorgte. Trotz Hinweisen, dass die Einnahme des Schlafmittels, der Entwicklung des ungeborenen Kind schadet, wurde das Medikament erst nach vier Jahren vom Markt genommen. Es kam zu schweren Fehlbildungen bei Neugeborenen, wie fehlende Gliedmaßen oder Organen. Heute haben die Opfer mit schweren Spät- und Folgeschäden zu kämpfen. „Durch einseitige Körperhaltung und Verschleiß leiden die meisten Geschädigten neben ihrer Behinderung inzwischen auch an Spät- und Folgeschäden. Dadurch sind sie oft gezwungen, ihre Erwerbstätigkeit aufzugeben.“ Die psychische und physische Belastung durch ständige Schmerzen, Zukunftsängste und Angst vor Altersarmut sei bereits erheblich. Ziel der Regierung ist deshalb die Inklusion, also die volle Teilhabe von allen Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen, so die Ministerin.

Sie wies auf die Bedeutung des Dialogs mit Betroffenen, Wohlfahrtsverbänden und Kommunen hin. „Die Belange der behinderten Menschen müssen stets selbstverständlicher Bestandteil von Entscheidungsprozessen in der Behindertenpolitik sein. Die gesundheitsbezogenen Selbsthilfen, wie etwa das Contergannetzwerk, sind für uns deshalb von großer Bedeutung. Behindertenpolitik ist Inklusionspolitik“, stellte Altpeter klar.

Besondere Schwerpunkte der Arbeit der Landesregierung im Bereich der Behindertenpolitik seien eine Verbesserung der Teilhabe am Erwerbsleben, die Sicherstellung der Barrierefreiheit sowie Bildung, konkretisierte die Ministerin. Die Ziele könnten zum einen durch Investitionsförderungen für die Infrastruktur realisiert werden, zum anderen aber auch durch ein transparentes und zeitgemäßes Bemessungssystem für die Unterstützungsbedürfnisse von Menschen mit Behinderung.

Auch die Bedeutung einer Beschwerde- und Qualitätssicherungsstelle für behinderte Menschen und deren Verbände sei nicht zu vernachlässigen: „Erstmals in Baden-Württemberg ist ein unabhängiges Amt eines Beauftragten für die Belange behinderter Menschen geschaffen worden. Es ist einer Person übertragen worden, die nicht gleichzeitig Mitglied der Regierung ist“, erklärte die Ministerin. „Mit Gerd Weimer als Landes-Behindertenbeauftragtem haben die Menschen einen erfahrenen, hartnäckigen und versierten Interessenvertreter erhalten. Er wird sich nicht scheuen, im Interesse der Menschen mit Behinderung auch einmal unbequem zu sein“, führte sie weiter aus.

Ein weiterer Punkt ihrer Arbeit sei es, das Landes-Behindertengleichstellungsgesetz grundlegend zu überarbeiten. „Es ist wichtig, dass die Rechte der Menschen mit Behinderung einklagbar werden“, so Altpeter. „Ziel unserer Arbeit ist eine nachhaltige Strategie, ein auf Dauer angelegter Prozess für eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung.“

Quelle: Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren

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Daniel

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Beitrag von Daniel » Dienstag 20. September 2011, 07:58

„Die Menschlichkeit wird siegen“
Contergan war ein Beruhigungsmittel, das Ende der 1950er-Jahre als besonders verträglich für Schwangere galt. 5 000 Kinder kamen als Folge der Einnahme missgebildet auf die Welt. Am Samstag veranstaltete das Contergan-Netzwerk in der Nürtinger Stadthalle das erste Contergan-Symposium. Stargast war Nina Hagen.
SYLVIA GIERLICHS

Nürtingen. Frau M. hat kurze Arme. Sie ist contergangeschädigt. Zum Flaschenöffnen und anderen Aktivitäten benutzt sie häufig die Zähne, was dazu führt, dass diese stark abgenützt sind. Eigentlich bräuchte Frau M. Implantate. Indes, die Krankenkasse sieht es anders. Eine Prothese sei ausreichend. Auch das Gericht, vor dem Frau M. klagte, schloss sich dieser Ansicht an. Wegen der verkürzten Arme ist Frau M. allerdings gar nicht in der Lage, die Prothese herauszunehmen, um sie zu reinigen. Hätte Frau M. ihre Zähne bei einem Unfall eingebüßt, hätte sie Anspruch auf Implantate gehabt, als Contergan-Opfer allerdings nicht.

Diese Geschichte, die der Rechtsanwalt Michael Ashcroft, selbst contergangeschädigt, beim ersten Contergan-Symposium über eine Klientin erzählte, macht deutlich, mit welchen Problemen die Opfer des Arzneimittelskandals bei Behörden oder anderen Institutionen kämpfen müssen.

„2007 hat mich die Vergangenheit eingeholt“, begann Dr. Harald Mückter seinen Vortrag. Die Produzenten des Fernsehfilms „Eine einzige Tablette“ hatten ihn angerufen, um ihn zum Leben und der Rolle seines Vaters Dr. Heinrich Mückter zu befragen. Heinrich Mückter entwickelte bei der Pharmafirma Grünenthal das Beruhigungsmittel mit dem Wirkstoff Thalidomid. Eine bewegte Zeit begann für Harald Mückter. Auch das Echo auf den Film berührte den Toxikologen nach eigener Aussage sehr. Doch nicht alle brachten Mückter Sympathie entgegen. „Manche Reaktionen waren gemein und verletzend“, sagt er rückblickend und man hört an seiner Stimme, wie auch ihn das Thema „Contergan“ emotional berührt. Als das Mittel 1957 auf den Markt kam, war Mückter fünf Jahre alt. Später habe ihm sein Vater auf seine Fragen geantwortet, Tierversuche beim Hund hätten ergeben, dass sechs Gramm pro Kilogramm Körpergewicht notwendig gewesen seien, um den Hund in Schwierigkeiten zu bringen. „Mein Vater hat auch Selbstversuche gemacht. Die Verträglichkeit bezeichnete er als hervorragend“, erzählt Mückter.

Seit Februar 2009 könne der Wirkstoff Thalidomid wieder verschrieben werden, allerdings nur mit einem Spezialformular, das nur sechs Tage gültig sei. Und nicht jeder darf ihn verschreiben. Der Wirkstoff werde heute zur Behandlung bei Tumorerkrankungen eingesetzt, da er das Wachstum von Gefäßen hemme. Was sich also bei Embryonen fatal ausgewirkt habe, sei für den Wachstumsstopp bei Tumoren ideal.

Mückter ging auch auf die umstrittene These ein, die Nationalsozialisten hätten Thalidomid bereits an KZ-Häftlingen ausprobiert. Verwicklungen der IG Farben oder der Firma Rhone-Poulenc? „Die vorgelegten Beweise überzeugen mich noch nicht richtig. Hier gibt es sicher mehr Fragen als Antworten. Doch auch ich möchte gerne wissen, welche Rolle mein Vater damals gespielt hat“, sagt Mückter, der hier auf die Arbeit der Historiker hofft.

Bei der sich an das Symposium anschließenden Open-House-Party traten der Zauberkünstler und Comedian Topas und der blinde Saxofonspieler Feri Nemeth auf. Der conterganbetroffene Schlagzeuger Tilmann Kleinau sorgte mit seiner Band „Crosslane“ für Superstimmung. Unbestritten war aber Superstar Nina Hagen der Höhepunkt der Party. Mit dem Woody-Guthrie-Song „This train is bound for glory“ legte sie los, wechselte in den deutschen Text „Dieser Zug fährt Richtung Freiheit“, womit sie gleich die Marschrichtung für das dreiviertelstündige Konzert vorgab. Mit pinkfarbenen Stiefelchen, Blumengesteck im Haar und rollenden Augen war sie ganz die Nina, die sie immer war: authentisch, ein bisschen schrill und sehr sympathisch. „Wie lange seid ihr denn von Berlin hierher gefahren, hat uns eine Dame vorhin gefragt, und ich sagte 2011 Jahre“, erzählte sie verschmitzt.

Von „Ermutigung“, einem Lied ihres Stiefvaters Wolf Biermann, über Bert Brecht bis hin zu „We shall overcome“ und „Amazing grace“ reichte das Repertoire der kleinen Sängerin mit der großen Stimme. Mit dem Woody-Guthrie-Titel „All you Fascists are bound to loose“ machte die erklärte Antifaschistin ein klares Statement gegen Rechts. Zwischendurch improvisierte sie. „Die Menschlichkeit wird siegen“, ist sich Nina Hagen sicher.

Eine ambivalente Beziehung hatte sie zu ihrer Gitarre, „sie frisst schon wieder Teile. Was da schon alles drin ist, das ganze Atlantis ist da drin“, schimpfte sie. Nach dem Konzert blieb sie, gab Autogramme, ließ sich mit den Fans ablichten und plauderte mit vielen. Eine gute Botschafterin für das Contergan-Netzwerk.
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Daniel

#14

Beitrag von Daniel » Freitag 23. September 2011, 08:10

Skandal-Geschichten

23.09.2011 - MAINZ

Von Elina Schefler

WETTBEWERB Rabanus-Maurus-Schüler recherchieren erfolgreich

„Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte“ war das Motto des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten an dem Schüler des Rabanus-Maurus Gymnasiums in Mainz erfolgreich teilgenommen haben.

„Uns hat interessiert wie die Gesellschaft und die Betroffenen mit dem Thema umgehen“, erklärt Luisa Hadding (13 Jahre) gemeinsam mit Chiara Kersten (14 Jahre) und Franziska Thyroff (14 Jahre) die Gründe für die Facharbeit zu dem Medikament „Contergan“. „Ein Schlafmittel ohne Folgen? Der Conterganskandal“ lautet der Titel. „Wir versuchen, Fragen zu dem gefährlichen Medikament zu beantworten. Unter anderem, wie es dazu gekommen ist, dass das Mittel den Menschen verkauft wurde und so viele ungeborene Kinder schädigen konnte, wie ist die verantwortliche Firma Grünenthal damals mit der Katastrophe umgegangen und ob der Wirkstoff heute noch verwendet wird oder nicht.“ Um sich ein Hintergrundwissen zu schaffen, recherchierten die Schülerinnen zunächst einmal im Internet und interviewten zudem einen Contergangeschädigten. Die Drei sind sich einig: „Ja, die Contergangeschichte ist ein Skandal!“

„Es geht darum, inwiefern die Geschichtsschreibung zur Mainzer Republik als Skandal zu bewerten ist“, erläutert der 18-jährige Markus Schepers über seine Arbeit „Historie oder Politikum? Die Geschichtsschreibung zur Mainzer Republik zwischen Schwarz und Rot. (K)ein Skandal?“. Die Beziehungen der beteiligten Historiker und Skandalfiguren, sowie die Rolle der Medien und ihre Folgen werden untersucht. „Für mich war auch die politische Ebene interessant. Besonders was sich nach dem Zusammenbruch der DDR verändert hat.“ Schon zum dritten Mal hat der Schüler an dem Geschichtswettbewerb teilgenommen. „Geduld und Durchhaltevermögen sind beim Schreiben einer solchen Arbeit notwendig. Ab und zu verliert man ein wenig seine Motivation, aber die kommt schon rechtzeitig wieder.“

Große Politik in einer kleinen Halle

„Große Politik in einer kleinen Halle. Ein Skandal!? Die Entfernung der DDR-Flagge am 28.03.1969 bei der TSG Mainz-Bretzenheim“ war Thema der Arbeit von Miriam Weckerle (16 Jahre) und Julie Verzola (16 Jahre). „Wir haben uns dafür entschieden, weil wir selbst Sport betreiben und der politische Hintergrund dieses Ereignisses uns sehr interessiert hat“, erklären die Schülerinnen. „Interviews mit Zeitzeugen haben geholfen mehr über diesen Vorfall zu erfahren, außerdem hat die TSG Bretzenheim uns bei der Recherche unterstützt.“

An dem Wettbewerbsbeitrag „Das Bischofspalais. Konsum gegen Kultur. Bauskandal in Mainz - Bischofspalais muss Parkhaus weichen“ waren Annik Kosmann, Julia Weber und Tabea Heppner persönlich interessiert. „Wir finden es furchtbar, dass dieses 300 Jahre alte historisch wertvolle Gebäude einfach abgerissen wurde, deswegen haben wir uns damit befasst“, erläutern sie. „Wir wollten herausfinden, warum man das nicht verhindern konnte und auch wie man heutzutage damit umgehen würde.“ Die Schülerinnen sind sich einig: „Der Abriss war definitiv ein Skandal! Ein unwiederbringliches Stück Mainzer Altstadt ist verloren gegangen.“

„Meine Recherche hat mit der eigentlichen Schrift ‚Die Geheimnisse der inneren Verwaltung‘, die Misshandlungen im Invalidenhaus beschreibt, angefangen. Daran habe ich alles Weitere aufgebaut“, erläutert Benedikt Hainz (18 Jahre) zu seiner Facharbeit mit dem Thema „Das Invalidenhaus in Mainz als Zielscheibe religiöser Bestrebungen anhand des Falles Warburg“. „Die Wendung des Falls kam überraschend. Bei meiner Recherche haben sich die Vorwürfe an den Barmherzigen Schwestern nicht bestätigt.“

Die Landessieger erhielten für ihre Facharbeiten jeweils eine Urkunde und ein Preisgeld von 250 Euro.

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