****Presseberichte November 2012*****

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****Presseberichte November 2012*****

#1

Beitrag von Presse » Donnerstag 1. November 2012, 07:49

Hier findet Ihr Presseberichte,rund um Contergan vom November 2012.
Kommentare zu den Berichten,könnt Ihr hier posten :link

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#2

Beitrag von Presse » Donnerstag 1. November 2012, 07:51

Von Ulrike Henning 01.11.2012 / Inland
Halt ohne Hände
Die meisten Opfer des Schlafmittels Contergan können mit ihren Renten die Spätfolgen der Behinderung nicht ausgleichen
Christine Zapf lebt ohne Arme. Sie ist ein Opfer des Schlafmittels Contergan, das von 1957 bis 1961 weltweit 15 000 Embryos mit Missbildungen im Mutterleib heranwachsen ließ. 2700 Geschädigte leben heute in der Bundesrepublik und beziehen eine Rente von der Contergan-Stiftung. Die meisten sehen die Organisation, die seit genau 40 Jahren besteht, kritisch.

Die kleine Frau schüttelt energisch den Kopf mit den glatten dunklen Haaren, die ihr gerade bis auf die Schultern fallen. Sie gestikuliert mit dem linken Fuß, bewegt ihn dabei wie andere ihre Hände beim Reden. Sie nimmt einen Stift zwischen die Zehen oder blättert in einigen Papieren, nimmt die Teetasse mit dem Fuß und trinkt einen Schluck. Jede dieser Bewegungen erscheint sicher und beiläufig, ihre Leichtigkeit verblüfft. Christine Zapf ist aber keine Artistin, die einfach ein paar witzige Übungen vorturnt. Sie ist eine von etwa 2700 in Deutschland lebenden Conterganbetroffenen.

Geboren wurde Christine Zapf im Mai 1962. Ihre Mutter hatte eine »unruhige Schwangerschaft« und nahm in dieser Zeit das Schlafmittel Contergan. Im November 1961 wurde bekannt, dass das Medikament Föten schädigt, wenn es zu Beginn der Schwangerschaft genutzt wird. Der Hersteller Grünenthal nahm das Produkt am 27. November 1961 vom Markt. Wenige Monate später kam Christine Zapf zur Welt - ohne Arme. Im Vorschulalter besuchte sie einen katholischen Kindergarten, extra eingerichtet für Contergan-Geschädigte. Sie war noch nicht sechs Jahre alt, da sollten ihr Prothesen angepasst werden: ein Metallkonstrukt auf dem Oberkörper, die Stangenarme hydraulisch zu bewegen, eine Gasflasche musste dazu auf dem Rücken getragen werden. Die Mutter half Christine dann lieber, Malen und Schreiben mit den Füßen zu lernen. Die Prothese wanderte in den Keller.

Ihre Mutter setzte später den Besuch einer regulären Grundschule durch. Eine Lehrerin kümmerte sich, die Mitschülerinnen rissen sich darum, Christine zu helfen. Dann der Umzug und drei weitere Schuljahre ohne Unterstützung, dafür schlechte Noten für die Schrift: Sie kam beim Diktat nicht so schnell mit. Schließlich die Realschule für Körperbehinderte, dann die gymnasiale Oberstufe, täglich lange Fahrten mit Schulbus von Meckenheim nach Köln und zurück. In kleinen Klassen, in Leistungskursen Latein und Englisch lernte sie viel und intensiv. Und fing mit anderen Contergan-Opfern an, sich zu wehren. Einige Lehrer organisierten sich eine Vier-Tage-Woche. Dafür hatten die Schüler zehn Unterrichtsstunden am Tag. Am Freitag waren es zwei Stunden, danach vier Stunden Warten auf den Schulbus. Die Jugendlichen konnten nichts ändern, aber sie ließen sich nicht alles gefallen. Genau das werde von Behinderten erwartet, erfährt Christine Zapf: »Du sollst dich kleinmachen und auch noch dafür entschuldigen, dass du Hilfe brauchst.«

Die Wahl der Studienfächer, Arabisch und Indonesisch, war »eine schöne Fehlentscheidung«. Sinnvolle Studienberatung gab es nicht. Das Schreiben des Arabischen von rechts nach links bereitete zusätzliche Mühe. Reisen in die Region erschienen Christine Zapf - allein als behinderte Frau, ohne Assistenz - unmöglich. Sie nimmt eine Halbtagsstelle in einer Ländervertretung in Bonn an, arbeitet an der Pforte, empfängt und betreut Gäste, erledigt Büroarbeit, fühlt sich wohl dabei. Kurz nach dem Regierungsumzug wechselt sie in eine Bonner Entwicklungshilfeorganisation, die im Austausch von Berlin übersiedelte. Dort wird sie gemobbt: »Das war ganz einfach. Unterlagen und Büroutensilien wurden so abgelegt, dass ich schlecht herankam. Anfangs mussten natürlich einige Sachen anders organisiert werden, damit ich auch damit arbeiten konnte, Ordner und Geräte waren niedriger zu stellen. Da gab es schon einen großen Widerwillen. Als ich dann noch forderte, dass im Büro nicht mehr geraucht würde, fanden die Kolleginnen das völlig überzogen. Dann ging es mit den Schikanen erst richtig los.«

Zapf kämpfte. Einige Jahre hielt sie durch, weil ihr die Arbeit Spaß machte, doch die Auseinandersetzungen machten mürbe. Sie fragte sich, ob sie selbst Schuld an den Anfeindungen hatte. »Aber es war nicht mein Problem. Ich passte einfach nicht ins Bild. Ich war schwerbehindert und hatte trotzdem gute Laune. Ich wurde zur Projektionsfläche für die Probleme anderer.« Christine Zapf bekam psychisch bedingte Schlaf- und Verdauungsprobleme. Schließlich kündigte sie. Die Ein-Euro-Jobs und Praktika danach erfuhr sie als regelmäßige Farce: Niemand wollte sie wirklich einstellen.

Der Contergan-Verband Köln, dem sie viele Jahre angehörte, beschränkte sich lange auf Weihnachtsfeiern, Sommerfeste und Ausflüge. 2008 besuchte ein englischer Contergan-Aktivist deutsche Landesverbände und versuchte, die Betroffenen zu mehr Widerstand zu bewegen. In Großbritannien und in anderen Ländern waren bereits deutlich höhere Renten und Entschädigungen erkämpft worden.

Das Vorbild der anderen und die wachsende Wut darüber, Leistungen und Zahlungen von Krankenkasse und Ämtern erkämpfen zu müssen, machte auch Christine Zapf zur Aktivistin. Sie nahm an Mahnwachen teil, fuhr zu internationalen Treffen. Die Contergan-Rente, deren Höchstsatz von 1150 Euro sie bezieht, machte ihr das möglich, sie darf auf ihren Hartz-IV-Bezug nicht angerechnet werden. Aber sie muss um vieles kämpfen: »Ein automatischer Dosenöffner ist für andere Luxus, für mich ist er ein Hilfsmittel.« Doch der Hilfsmittelkatalog der gesetzlichen Krankenkassen ist nicht am Bedarf Schwerstbehinderter orientiert, ganz zu schweigen von speziell benötigten Leistungen. So braucht sie einmal im Monat eine Fußpflege, weil sie offene Stellen an den Füßen bekommt. »Meine Kasse wollte das einfach nicht verstehen.« Auch die Kassenärztliche Vereinigung stellte sich quer, sah nur ein hygienisches Problem, für das sie nicht zuständig sei. Erst Schreiben von Bundestagspolitikern halfen weiter.

Christine Zapf wurde bewusst, dass vieles an ihrer Situation mit den Entwicklungen zu tun hatte, die der Aufdeckung der Contergan-Schäden folgten: Der Prozess gegen die Hersteller-Firma Grünenthal aus Stolberg bei Aachen wurde 1970 wegen geringer Schuld eingestellt. Ein Vergleich wurde geschlossen und daraufhin die Contergan-Stiftung gegründet. Grünenthal zahlte einmal 100 Millionen Mark ein, damit waren aber weitere Ansprüche an das Unternehmen ausgeschlossen. Folgeschäden mussten nicht mehr berücksichtigt werden. Diese De-facto-Enteignung der Opfer wurde auch dadurch nicht aufgehoben, dass Grünenthal 2009 noch einmal 50 Millionen Euro nachschoss. Nach Ansicht vieler Opfer hat auch die Stiftung, die gestern ihren 40. Jahrestag beging, ihre Interessen nur schlecht vertreten.

Die Contergan-Opfer lernten, mit ihren körperlichen Schäden zu leben, kämpften um jedes Stück Unabhängigkeit. Jetzt werden jedoch gesundheitliche Folgen deutlich. Christine Zapf brachte zwei Knieoperationen hinter sich, hat Schwellungen an den Beinen, die bisher kein Arzt erklären kann. Von der Universität Heidelberg wurde endlich eine Studie über Spätfolgen der Contergan-Schädigungen erstellt. Würden die anerkannt, erhöhten sich die Ansprüche auf Unterstützung deutlich.

Auf der Reha-Messe probierte Zapf kürzlich ein kleines Elektromobil aus. Das würde ihr gute Dienste leisten, da sie nicht mehr weit gehen oder lange stehen kann. Selbst kaufen könnte sie es sich nicht. Und wenn der speziell für sie umgebaute zwölf Jahre alte Golf jetzt kaputt ginge, würde sie als Arbeitslose keinen Ersatz bekommen. Sie weiß, dass es anderen ebenso geht: »Und fahr mal Bus oder Bahn, ohne dich festhalten zu können. Das geht nur mit Assistenz.« Systematisch und subtil werde so die Bewegungsfreiheit Behinderter eingeschränkt. Aber es geht nicht nur um »satt und sauber«, sondern um entgangene Lebensfreude und schmerzhafte Erfahrungen, um verlorene berufliche Möglichkeiten. Eine höhere Rente und Entschädigung wäre für Christine Zapf eine Chance für mehr persönliche Freiheit. Aber nicht das allein: »Wenn ich richtig viel Geld hätte, würde ich einen Anwalt beschäftigen, der Schwerbehinderte bei ihren Kämpfen gegen Jobcenter, Kassen und Behörden unterstützt.«

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#3

Beitrag von Presse » Dienstag 6. November 2012, 07:44

DGAP-News: PAION AG: NEUES AUFSICHTSRATSMITGLIED BESTELLT
05.11.2012 - 15:28 | Quelle: DGAP

PAION AG: NEUES AUFSICHTSRATSMITGLIED BESTELLT

Dr. Karin Louise Dorrepaal wird Nachfolgerin von Dr. Harald F. Stock

Aachen, 05. November 2012 - Das biopharmazeutische Unternehmen PAION AG (ISIN DE000A0B65S3; Frankfurter Wertpapierbörse, General Standard: PA8) gab heute bekannt, dass das Amtsgericht Aachen auf einstimmigen Vorschlag von Aufsichtsrat und Vorstand der PAION AG Dr. Karin Louise Dorrepaal mit Wirkung zum 29. Oktober 2012 in den Aufsichtsrat der PAION AG bestellt hat. Dr. Karin Dorrepaal wird damit Nachfolgerin von Dr. Harald F. Stock, CEO der Grünenthal Gruppe, der aufgrund möglicher sich überschneidender Interessen mit der derzeitigen strategischen Neuausrichtung der PAION AG in ein spezialisiertes Pharmaunternehmen im Anästhesiebereich sein Mandat niedergelegt hat. Dr. Stock war seit Mai 2011 als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender für die PAION AG aktiv.

Dr. Karin Louise Dorrepaal hat umfassende Erfahrungen in der Life Science Industrie. Zwischen 2004 und 2006 war sie Mitglied des Vorstands der Schering AG in Berlin. Von 1990 bis 2004 war sie für das Unternehmen Booz Allen & Hamilton als Managementberaterin in Amsterdam und New York tätig. Des Weiteren war Frau Dr. Dorrepaal von 1985 bis 1988 Forschungsstipendiatin am 'The Netherlands Cancer Institute' in Amsterdam.

'Wir freuen uns, mit Frau Dr. Karin Dorrepaal eine anerkannte Expertin in der Life Science Industrie als Aufsichtsratsmitglied der PAION gewinnen zu können', so Dr. Jörg Spiekerkötter, Aufsichtsratsvorsitzender der PAION AG. 'Unser Dank gilt aber auch Herrn Dr. Stock, der mit seiner umfangreichen Erfahrung einen wertvollen und wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen strategischen Neuausrichtung der PAION AG geben konnte.'

Dr. Stock, Chief Executive Officer der Grünenthal Gruppe mit Sitz in Aachen, kommentierte: 'Ich bin froh, einen Beitrag zur strategischen Neuausrichtung von PAION vom reinen Entwicklungsunternehmen hin zur Umwandlung in ein spezialisiertes Pharmaunternehmen mit einem Fokus auf Anästhesieprodukte geleistet zu haben. Anästhesie ist ein sehr attraktiver Markt und ich bin überzeugt, dass PAION mit der Leitsubstanz Remimazolam erfolgreich sein wird. Angesichts Grünenthals führender Position im innovativen Schmerz Markt könnten jedoch sich überschneidende Interessen beider Unternehmen eher früher als später unumgänglich sein. Daher freue ich mich, dass wir mit Karin Dorrepaal eine sehr erfahrene Führungskraft als meine Nachfolgerin im Aufsichtsrat gefunden haben. Ich wünsche PAION und Frau Dorrepaal weiterhin viel Erfolg.'

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Über PAION PAION ist ein biopharmazeutisches Unternehmen mit Hauptsitz in Aachen und verfügt über einen weiteren Standort in Cambridge (Vereinigtes Königreich). Das Unternehmen hat sich auf die Entwicklung und Vermarktung innovativer Arzneimittel mit einem erheblichen, nicht gedeckten medizinischen Bedarf für den Krankenhaus Bereich spezialisiert. PAION hat sein bewährtes Geschäftsmodell 'Finden & Entwickeln' durch die Umwandlung in ein spezialisiertes Pharmaunternehmen mit einem Fokus auf Anästhesieprodukte erweitert.

Kontakt Ralf Penner Director Investor Relations / Public Relations PAION AG Martinstraße 10-12 52062 Aachen Tel.: +49 241 4453-152 E-Mail: r.penner@paion.com http://www.paion.com

Disclaimer: Diese Veröffentlichung enthält bestimmte in die Zukunft gerichtete Aussagen, die die PAION AG betreffen. Diese spiegeln die nach bestem Wissen vorgenommenen Einschätzungen und Annahmen des Managements der PAION AG zum Datum dieser Mitteilung wider und beinhalten bestimmte Risiken, Unsicherheiten und sonstige Faktoren. Sollten sich die den Annahmen der Gesellschaft zugrunde liegenden Verhältnisse ändern, so kann dies dazu führen, dass die tatsächlichen Ergebnisse und Maßnahmen von den implizit oder ausdrücklich erwarteten Ergebnissen und Maßnahmen wesentlich abweichen. In Anbetracht dieser Risiken, Unsicherheiten sowie anderer Faktoren sollten sich Empfänger dieser Veröffentlichung nicht unangemessen auf diese zukunftsgerichteten Aussagen verlassen. Die PAION AG übernimmt keine Verpflichtung, solche zukunftsgerichteten Aussagen fortzuschreiben oder zu aktualisieren, um zukünftiges Geschehen oder Entwicklungen widerzuspiegeln.


Ende der Corporate News

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05.11.2012 Veröffentlichung einer Corporate News/Finanznachricht, übermittelt durch die DGAP - ein Unternehmen der EquityStory AG. Für den Inhalt der Mitteilung ist der Emittent / Herausgeber verantwortlich.

Die DGAP Distributionsservices umfassen gesetzliche Meldepflichten, Corporate News/Finanznachrichten und Pressemitteilungen. Medienarchiv unter http://www.dgap-medientreff.de und http://www.dgap.de

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Sprache: Deutsch
Unternehmen: PAION AG
Martinstr. 10-12
52062 Aachen
Deutschland
Telefon: +49 (0)241-4453-0
Fax: +49 (0)241-4453-100
E-Mail: info@paion.com
Internet: http://www.paion.com
ISIN: DE000A0B65S3
WKN: A0B65S
Börsen: Regulierter Markt in Frankfurt (General Standard);
Freiverkehr in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, München,
Stuttgart


Ende der Mitteilung DGAP News-Service

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#4

Beitrag von Presse » Dienstag 6. November 2012, 07:45

Contergan – ein bis heute währender Skandal
Von Werner Albrecht und Konrad Kreft
6. November 2012

Vor einem halben Jahrhundert ereignete sich einer der größten Arzneimittelskandale in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Zum Jahreswechsel 1961/62 wurde aufgedeckt, dass die Totgeburt und Missbildung tausender Kinder auf die Einnahme des Mittels Contergan der Firma Grünenthal in Stolberg bei Aachen zurückzuführen war.

Contergan war ein von dem 1946 gegründeten deutschen Unternehmen seit 1957 verkauftes rezeptfreies Schlaf- und Beruhigungsmittel, das als besonders unbedenklich gepriesen wurde und einen hohen Absatz erzielte. Weil es auch gegen die morgendliche Übelkeit half, die in den ersten Monaten der Schwangerschaft auftritt, wurde es von vielen Schwangeren genommen. Bei weltweit schätzungsweise 10.000 Kindern führte der in Contergan enthaltene Wirkstoff Thalidomid, der heute als Arzneimittel gegen Lepra eingesetzt wird, zu Schädigungen im Mutterleib. Der Schlafmittelwirkstoff wurde in 47 Ländern vertrieben.

Ende der 1950er Jahre machte sich in Deutschland eine vermehrte Geburtenzahl missgebildeter Kinder bemerkbar. Diese Kinder kamen mit verkrüppelten Armen und Beinen zur Welt, manchmal fehlten die Gliedmaßen vollständig. Da die wirkliche Ursache verdeckt blieb, wurde in der Öffentlichkeit zunächst über mögliche Auswirkungen der weltweit stattfindenden Atomtests spekuliert. Im Mai 1958 erging dazu eine Anfrage an den Bundestag. Ein Zusammenhang wurde von der Bundesregierung abgestritten. Noch 1961 erging eine ähnliche Anfrage an den Bundespräsidenten.

Im Mai 1961 beantragte Grünenthal die Rezeptpflicht für Contergan. Seit Herbst 1959 waren bei dem Unternehmen Beschwerden und Arztberichte aus medizinischen Fachzeitschriften eingetroffen, die die Unbedenklichkeit des frei verkäuflichen Mittels in Frage stellten. Ärzte und ihre Patienten berichteten zunächst über „unangenehme Gefühle an Händen und Füßen“, „Brennschmerz“, „abnormes Kältegefühl“, „Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, innere Unruhe“ sowie „Lähmungen“ und weitere Beschwerden.

Im August 1961 zogen Ärzte in einem vom Spiegel veröffentlichten Artikel die Harmlosigkeit des Medikaments öffentlich in Zweifel. Zu diesem Zeitpunkt wurde es „von über einer Million Menschen regelmäßig eingenommenen und selbst Säuglingen und Kleinkindern in Form eines nach Himbeersaft schmeckenden roten Sirups eingegeben“. Der Umsatz des Medikaments brach daraufhin stark ein.

Das Unternehmen, unter starken öffentlichen Druck geraten, weigerte sich hartnäckig, „dieses gute Präparat aus dem Handel zu nehmen“, weil es drastische Umsatzeinbußen befürchtete. Grünenthal versandte stattdessen beschwichtigende Werbe- und Rundschreiben an Ärzte.

Im November 1961 intervenierte der Hamburger Erbforscher Widukind Lenz, der neben anderen Wissenschaftlern den Zusammenhang der Fehlbildungen mit Contergan erkannt hatte, persönlich bei Grünenthal, um eine Einstellung des Arzneimittels zu erreichen. Aber erst nachdem wenige Tage später Gesundheitsbeamte drohten, das Präparat zu verbieten, nahm die „empörte“ Firmenleitung das Medikament vom Markt.

Die amerikanische Pharmakologin Frances Kelsey entdeckte etwa zeitgleich mit Professor Lenz die für Embryonen verheerenden Folgen des Wirkstoffs Thalidomid. In ihrer Funktion als Mitarbeiterin der Food and Drug Administration (FDA), der amerikanischen Behörde für Lebensmittelüberwachung, verweigerte sie der Substanz die Zulassung in den USA.

Die Wissenschaftlerin forderte für die Substanz eine Testphase und zweifelte die ihr von der Industrie vorgelegten Befunde an. Kelsey sah sich bis 1962 wachsendem Druck aus Wirtschaft und politischen Kreisen ausgesetzt, die Zulassung dennoch zu erteilen. Erst als der Contergan-Skandal seine Kreise zog, ließ der Druck auf die mutige Wissenschaftlerin nach, die mit ihrem Einsatz unzähligen Menschen in den Vereinigten Staaten Leben und Gesundheit rettete.

Viele Tausende durch das Medikament geschädigte Kinder starben bereits bei der Geburt. Die Überlebenden litten und leiden unter schwerwiegenden Fehlbildungen, deren Folgen sie im zunehmenden Alter verstärkt zu spüren bekommen. Die meisten der Opfer leben in Deutschland. Weitere Medikamentengeschädigte finden sich aber auch in Japan, Australien, Kanada und Großbritannien.

Grünenthal bot seinen Opfern bis zu 20.000 Mark Schmerzensgeld an, wenn sie auf weitere Ansprüche verzichten. Vereinzelte Prozesse von Angehörigen der Opfer begannen bereits 1962, doch erst 1968 kam es in Aachen zu einem umfangreichen Prozess. Die Zwischenzeit nutzten Firmenchef Hermann Wirtz und weitere führende Verantwortliche des Unternehmens, die dank Thalidomid ein Vermögen angehäuft hatten, zu umfangreichen Vermögensverschiebungen, wie die Presse 1963 berichtete.

Im Januar 1968 standen der frühere Laborleiter Heinrich Mückter und weitere Verantwortliche Grünenthals vor Gericht. Dieser Prozess endete im April 1970 mit der Einstellung des Verfahrens „wegen geringfügiger Schuld der Angeklagten und mangelnden öffentlichen Interesses“ an der Strafverfolgung. Als Entschädigung für die Opfer stellte das Chemie-Unternehmen rund hundert Millionen Mark bereit.

Wie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) am 13. März 2012 berichtete, soll Grünenthal in den 1950er und 1960er Jahren auch Ärzte und Chemiker eingestellt haben, die an menschlichen Experimenten der Nationalsozialisten beteiligt gewesen waren.

Dem 1987 gestorbenen Heinrich Mückter hatte die polnische Justiz medizinische Experimente an KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern während der NS-Zeit vorgeworfen. Er hatte jedoch rechtzeitig in den Westen fliehen können, wo er als wissenschaftlicher Direktor von Grünenthal die Entwicklung von Contergan leitete.

Die Familie Wirtz wies Forderungen nach Aufklärung dieser Geschichte mit der Begründung zurück: „Unser Unternehmen ist in der Nachkriegszeit gegründet worden, aus diesem Grunde besitzt es auch keine Historie, die in die Zeit des Nationalsozialismus fällt und die es daher unter derartigen Aspekten aufzuarbeiten gäbe.“

Laut WAZ waren die betreffenden Nazis keine kleinen Rädchen oder einfache Mitläufer im NS-System. Als Chemiker und Ärzte hatten sie leitende Funktionen inne und waren an grausamen und tödlichen Menschenexperimenten beteiligt. Kriegsverbrecher, die dem faschistischen Deutschland als Giftgasexperten, als Forscher im Institut für Fleckfieber- und Virusforschung oder als Ärzte in Konzentrationslagern gedient hatten, tauschten ihre mit Blut befleckten Arbeitsanzüge gegen Nadelstreifenanzüge. Von dem Karrieresprung, der ihnen anschließend gelang, ist der Öffentlichkeit verhältnismäßig wenig bekannt – die Archive Grünenthals bleiben bis heute verschlossen.

Der Eigentümerclan Wirtz, zu dessen Konsortium neben der Pharmafirma Grünenthal noch die Dalli-Werke und die Parfümfabrik Maurer & Wirtz gehören und dessen Privatvermögen sich auf geschätzte vier Milliarden Euro beläuft, bezeichnet den Contergan-Skandal bis heute als „eine nicht absehbare Katastrophe“.

Alle Hinweise, die diesen Mythos wiederlegen und belegen, dass Grünenthal das Medikament nur aufgrund der hohen Profite nicht sofort vom Markt nahm, als der Verdacht auf die verheerenden Nebenwirkungen aufkam, versucht das Unternehmen immer wieder zu unterdrücken.

So durfte die ARD den Zweiteiler „Eine einzige Tablette“ erst 2007 senden. Der Spielfilm von Adolf Winkelmann – es handelte sich nicht um eine Dokumentation – war bereits 2006 fertiggestellt worden und sollte auch im selben Jahr gesendet werden. Doch durch juristische Schritte gelang es Grünenthal, die Ausstrahlung zunächst zu verhindern. Nach langwierigen Rechtsstreitigkeiten gab erst das Bundesverfassungsgericht den Filmemachern und dem Sender grünes Licht.

Das Contergan-Opfer Stephan Nuding, der den Film nach großer Überwindung ansah, erzählte, er habe schließlich wie ein kleines Kind geweint, weil ihm die vielen Verdrängungen zu Bewusstsein gekommen seien. Nuding hatte sechs Jahre seines Lebens im Krankenhaus verbracht und sechzehn Operationen über sich ergehen lassen müssen. Als Historiker kämpft er darum, die Hintergründe des Skandals aufzudecken. Sein vorläufiges Fazit lautet: „Wir sind fünfzig und unsere Körper fühlen sich an wie achtzig. Aber noch haben wir die Kraft.“

Zu den in Deutschland lebenden, etwa 50-jährigen und älteren noch rund 2.300 Contergan-Geschädigten gehört auch der bekannte Sänger Thomas Quasthoff. Er berichtete kürzlich in einem Interview, er habe eine Einladung des Unternehmens Grünenthal, bei ihnen zu singen, entrüstet abgewiesen.

Mit Beteiligung des Bundes, der schließlich die Hauptlast der finanziellen Entschädigung der Opfer übernahm, entstand 1972 die Conterganstiftung für behinderte Menschen. Nachdem die dort verfügbaren Geldbeträge erschöpft waren, überwies Grünenthal 2009 noch einmal 50 Millionen Euro an die Stiftung. Jeder Betroffene erhält von der Stiftung je nach Behinderungsgrad zwischen 250 und 1.127 Euro Rente monatlich.

Nach über fünfzig qualvollen und aufzehrenden Jahren voller Demütigungen sowie der Verweigerung jeglicher Entschuldigung seitens des Pharmaunternehmens Grünenthal, ist schließlich am 30. August 2012 im Frankentaler Kulturzentrum in Stolberg ein Denkmal für die Conterganopfer enthüllt worden.

Der Bundesverband Contergangeschädigter blieb allerdings dieser Veranstaltung mit der Begründung fern, dass es wirklich Dringenderes für Grünenthal zu tun gebe, als ein Denkmal zu sponsern.

Die bei der Denkmaleinweihung von Grünenthal-Chef Harald Stock gehaltene Rede, in der er die Betroffenen erstmals um Entschuldigung bat, stieß weltweit auf Kritik der Opferverbände.

„Wir erwarten Taten“, sagte Ilonka Strebitz, die Sprecherin des Bundesverbands Contergangeschädigter, „und wenn diese Taten nicht folgen, dann bleibt dies nur ein PR-Gag.“ Australische Geschädigte nannten die Geste „erbärmlich“. Auch der japanische Opferverband Sakigake, der von der sehr späten Entschuldigung enttäuscht war, erklärte: „Die Zahl der Opfer wäre geringer gewesen, wenn der Konzern den Verkauf früher gestoppt hätte.“

Der Kampf der Betroffenen und Angehörigen um Schmerzensgeld, um Rente und auch um die vollständige Aufdeckung der Hintergründe dieses größten deutschen Arzneimittelskandals währt bis heute.

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#5

Beitrag von Presse » Freitag 9. November 2012, 08:10

Die Folgeschäden des Contergans
Betroffene kämpfen um bessere medizinische Versorgung

Von Marieke Degen

Viele der rund 2400 Contergan-Geschädigten in Deutschland klagen über den Verschleiß von Muskeln und Gelenken. Doch die meisten Krankenkassen wollen notwendige medizinische Gegenmaßnahmen nicht finanzieren. Die meisten Betroffenen müssen diese aus eigener Tasche bezahlen.

"Gut hier sieht man jetzt das Schulterbild, das Schulterbild zeigt ja auch einen relativ typischen Conterganschaden, der Kopf ist entrundet, die Pfanne ist zu klein, dysplastisch."

Jürgen Graf hält die Kernspin-Aufnahme vor den Leuchtkasten.

"Ihnen fehlt Kraft, und Ihnen fehlt Beweglichkeit, das sind ja zwei verschiedene Sachen, und je mehr Sie das schonen, desto mehr wird die Schulter auch einsteifen, wenn man nichts dagegen tut."

"Ich geh aber trotz Schmerzen eigentlich immer dagegen an, ja."

Michael T. hat sein Hemd ausgezogen. Seine Arme sind viel zu kurz, seine Hände nach innen verdreht, die Daumen fehlen.

"Das ist die rechte Schulter, da ist es ähnlich, ja der Kopf ist einfach entrundet, dysplastisch und das ist eben ein klassischer Conterganschaden, wenn man das sieht mit den Ärmchen, die nur zwei Drittel an Armlänge haben."

In Deutschland leben rund 2400 Contergan-geschädigte Menschen. Der Orthopäde Jürgen Graf kennt sie fast alle.

"Das Hauptproblem ist die Wirbelsäule, sagen Sie?"

"Richtig."

"Machen Sie mal die Füße zusammen - gut."

"Ich habe momentan auch sehr starke Schmerzen, deswegen schwitze ich auch, vor lauter Schmerzen."

"Ja das glaube ich. Beugen Sie sich nach vorne."

Als Kinder haben die Betroffenen fast schon akrobatische Bewegungsmuster erlernt, um selbstständig leben zu können. Sie öffnen Flaschen mit den Zähnen, tippen mit den Zehen auf der Tastatur, beladen die Waschmaschine mit den Füßen. Jetzt sind sie Anfang 50 und leiden immer mehr an den Folgeschäden - Gelenke verschleißen, Muskeln bauen ab, die Wirbelsäule macht nicht mehr mit. Michael T. hat mehrere Bandscheibenvorfälle.

"Nee, Die Schmerzen sind eigentlich eher diffus. Das heißt, die wechseln permanent. Ich habe hier im Hüftgürtel Probleme. Und dann, je nachdem, wie man sich bewegt, strahlen die aus. Entweder ins linke Bein, ins rechte Bein, in die Blase."

"Ist das Lageabhängig, werden Sie nachts davon wach?"

"Jetzt ging das los, dass ich morgens wach geworden bin, und konnte mich fast gar nicht mehr bewegen, konnte kaum aufstehen."

Vieles klappt einfach nicht mehr, sagt er.

"Eine ganz entscheidende Funktion, die mir vor einigen Jahren abhanden gekommen ist, das ist halt die Selbstständigkeit beim Toilettengang, da hatte ich halt noch die Möglichkeit gehabt, mich selber zu reinigen, das war schon immer extrem schwierig für mich, und durch die altersgemäße Einsteifung ist es nicht mehr möglich für mich, das selber auszuführen. Was natürlich im tagtäglichen Ablauf enorme Probleme mit sich bringt."

Die Lage der Contergan-Geschädigten in Deutschland ist verheerend. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der Uni Heidelberg. Die Wissenschaftler haben, im Auftrag der Bundesregierung, 900 Betroffene befragt. Deren Gesundheit verschlechtert sich mit zunehmendem Alter. Gleichzeitig müssen sie um ihre medizinische Versorgung regelrecht kämpfen. Jürgen Graf erlebt das täglich.

"Also wenn jemand an Muskelkraft verliert, auch weil er jetzt älter wird, und durch Überbelastung und Fehlbelastung, dann muss man gegensteuern mit Krankengymnastik oder Krankengymnastik am Gerät oder der muss ins Schwimmbad gesteckt werden, um seine Gelenke freibeweglich zu halten, und man verschreibt das nicht, dann versteifen die Gelenke ein, ganz einfach."

Viele Krankenkassen stellen sich trotzdem quer.

"Aufschreiben kann man ja gar nichts mehr. Die Kassen zahlen das ja nicht mehr, obwohl die Patienten immer angelogen werden von den Kassen indem sie sagen, der Arzt kann das verschrieben, was er für medizinisch notwendig hält, das ist aber glatt gelogen, sonst hätte ich keine Regresse über eine hohe fünfstellige Summe. Weil ich angeblich zu viel verschrieben habe."

Auch bei den Hilfsmitteln gebe es immer wieder Ärger - seien es maßgeschneiderte Schuhe, Spezialtoiletten oder sogar Rollstühle.

"Das dauert Monate, das dauert ein halbes Jahr bis die Hilfsmittel bekommen, die sie brauchen, weil sie sonst nicht laufen können. Und das muss man begründen."

Laut Heidelberger Studie bezahlt jeder dritte Contergan-Geschädigte Physiotherapie oder Hilfsmittel aus eigener Tasche. Das kann sich aber längst nicht jeder leisten: Immer mehr Betroffene arbeiten aus gesundheitlichen Gründen nur noch halbtags. Einige müssen sogar ganz aufhören und hohe Rentenabschläge hinnehmen. Die Vorstellung macht Michael T. Angst.

"Ich habe auch durch das Studium später angefangen zu arbeiten, und da fehlen noch ein paar Jahre. Und die Rente ist gnadenlos. Die reißt einem dann was weg. Wenn ich jetzt schon mit Mitte, Ende 50 nicht mehr in der Lage wäre, zu arbeiten, dann würde ich vorm finanziellen Desaster stehen."

Sie bekommen zwar eine Rente von der Conterganstiftung. Monatlich maximal 1152 Euro plus eine jährliche Sonderzahlung - je nach Schwere der Behinderung. Doch das reicht nicht aus für Zahnimplantate oder den Umbau des Badezimmers. In Australien hat sich eine Thalidomid-Geschädigte Frau gerade Schadenersatz in Höhe von mehreren Millionen Dollar erkämpft.

In Deutschland aber kann die Firma Grünenthal, die Contergan damals hergestellt hat, nicht mehr verklagt werden. Mit der Gründung der Contergan-Stiftung vor 40 Jahren sind sämtliche Ansprüche der Betroffenen erloschen.

Stattdessen ist die Politik gefragt. Die Heidelberger Wissenschaftler fordern unter anderem: Die Conterganrenten müssen erhöht und alle Behandlungskosten übernommen werden. Erste Gespräche im Familienausschuss des Bundestages fanden statt, im Januar ist eine öffentliche Anhörung geplant.

Michael T. bekommt heute erst mal eine Spritze in den Rücken.

"Das wirkt reizlindernd, abschwellend, schmerzlindernd, natürlich, Heilung gibt's nicht. Sie haben halt einen weiten Anfangsweg, aber wenn man das zwei, dreimal macht, bringt es schon viel."

In ein paar Monaten, spätestens, muss Michael T. wiederkommen.


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#6

Beitrag von Presse » Freitag 9. November 2012, 08:13

Niko von Glasow im Interview „Bei den anderen sitzt die Behinderung innen“
tkl, 08.11.2012 14:30 Uhr
Stuttgart - In seinem neuen Film „Alles wird gut“, der gerade bundesweit im Kino gestattet ist und in zwei Wochen nach Stuttgart kommt, erzählt der selbst Contergan-geschädigte Regisseur Niko von Glasow von einer Theatergruppe aus Behinderten und Nichtbehinderten. Er will Filme machen, die mit ihm selbst zu tun haben, will sich aber nicht auf die Behinderung reduzieren lassen.

Herr von Glasow, vor noch nicht allzu langer Zeit wären Sie mit einem Film wie „Alles wird gut“ konzentrierter Aufmerksamkeit sicher gewesen. Damals war das deutsche Kino auch Anstoßgeber für gesellschaftliche Debatten. Heute scheint eine Inflation an Filmstarts alle Debatten im Keim zu ersticken. Frustriert Sie das nicht?
Es gibt fraglos eine Art Kulturverstopfung. Es wird so viel produziert, sehr viel Gutes, aber auch sehr viel Schlechtes. Der bildende Künstler, der Musiker, auch der Filmemacher muss sich also noch mehr auf sich konzentrieren, auf die Frage: Wer bin ich und was will ich wirklich machen? Das ist die einzige Chance, die wir haben. Dass wir nicht versuchen, jemand anderen zu kopieren. Sondern noch authentischer werden in unserer Kunst. Dass wir Nischen, wie man ein wenig zynisch sagt, noch klarer besetzen. Wir machen etwas anderes als das normale Fernsehen oder der normale Youtube-Mix. Wir machen etwas ganz Spezifisches, was uns ganz nahe ist.

Böse gesagt, wäre Ihre Nische dann die des Behindertenfilms. Ist das nicht auch eine ungute Reduktion, dass der Behinderte der Gesellschaft vor allem über seine Behinderung Auskunft geben soll?
Wenn man ein solches Thema wie Behinderung erforscht, ist es nicht mit einem Film getan. Ich habe festgestellt, dass eigentlich alle Menschen behindert sind. Der einzige Unterschied zwischen Körperbehinderten und dem Rest der Behinderten: Bei den anderen sitzt die Behinderung innen. Jeder hat einen Knall, ja? Also ist das Thema so groß, dass man es mit einem Film nicht abhandeln kann. Ich habe „NoBody’s Perfect“ gemacht, in dem ich Contergan-Geschädigte als ganze Menschen vorgestellt habe, jetzt ist „Alles wird gut“ im Kino, gemacht“, darin geht es um Theater, Schauspiel und Kunst von Behinderten und Nichtbehinderten, und jetzt drehe ich „Olympia“, da geht’s um die Paralympics. Das ist eine Art Trilogie. Dann ist aber auch Schluss. Danach mache ich einen Film, der in Tibet spielt und nur noch entfernt, wenn überhaupt, mit Behinderung zu tun hat.

Und Sie fürchten nicht, dass Sie schon so festgelegt worden sind, dass man anderes von Ihnen gar nicht mehr sehen möchte?
Ich bin behindert. Ich bin aber auch Vater, Deutscher jüdischer Abstammung, Buddhist, Filmemacher, Suchender, also noch ganz viele andere Dinge. Jetzt habe ich mich mit einem Teil meines Seins beschäftigt. Aber es gibt ja mehr, womit ich mich auskenne. Die Behinderung ist nur ein Teil von mir, ein erstaunlich kleiner. Die Geburt meiner Kinder hat mich viel mehr geprägt.

Haben Sie sich als Kind eher als Teil einer großen Gruppe mit demselben Handicap gesehen, oder als Einzelnen?
Ich habe das als völliges Individualschicksal wahrgenommen. Jeder Mensch denkt ja, dass er ganz speziell ist, besonders, wenn er jung ist. Wir waren damals so Vorzeigebehinderte, die putzigen Menschen mit den Flügelchen, wie sie sagten, die bei Aktion Sorgenkind auftreten konnten. Nur sind wir jetzt nicht mehr die putzigen, zierlichen Contergan-Kinderchen. Jetzt sind wir alte Männer und Frauen, deren Spätfolgen extrem sind. Viele von uns leben auf Morphium, viele sind total kaputt. Dass sich die Contergan-Hersteller davor gedrückt haben, uns zu entschädigen, außer mit Pfennigbeträgen, ist unglaublich.

Können Sie sich erinnern, wann Ihnen endgültig klar wurde, was Sie aus Ihrem Leben machen wollten?
Ganz früh. Mein Vater war der Verleger des Kunstbuchverlages DuMont in Köln. In den frühen sechziger Jahren waren bei uns zuhause ständig sehr viele Musiker und Künstler, berühmte und nicht so berühmte, zu Gast, Karlheinz Stockhausen, Maurico Kagel, Nam June Paik, Jackson Pollock, sehr viele Maler vor allem. Und ich saß als Kind mit meinen kurzen Armen da und habe mich in deren Kunstwerke eingemischt. Ich habe denen gesagt: Mal das doch mal so! Und dann haben die das auch getan. Da schon wurde mir klar: Ich werde Regisseur. Anderen Künstlern zu sagen, was sie tun sollen – das ist mein Traumjob.

Niko von Glasow im Interview Der Filmemacher und der Skandal

Von 1957 an wurde das Medikament auch gegen Schwangerschafts­übelkeit verschrieben. Sein Wirkstoff führte zu Missbildungen bei Föten. Bis zu 10 000 Kinder wurden geschädigt geboren. Die Totgeburten wurden nicht gezählt. 1970 zahlte der Contergan-Hersteller Grünenthal einmalig 100 Millionen D-Mark in eine Stiftung mit dem Zweck der Entschädigung.

Niko von Glasow, 1960 in Köln geboren, hat das Filmemachen als Assistent von Rainer Werner Fassbinder gelernt. Seine filmische Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal begann 2007 mit „Schau mich an“.

2008 hat Glasow in „NoBody’s Perfect“, der den Deutschen Filmpreis erhielt, fruchtlos versucht, die Erben des Contergan-Herstellers vor die Kamera zu holen und zu weiteren Entschädigungen aufzufordern. Diesen Kampf will Glasow weiter führen. Derzeit läuft sein aktueller Film „Alles wird gut“.

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#7

Beitrag von Presse » Sonntag 11. November 2012, 09:28

Gesellschaft
Mehr Hilfe für die Contergan-Opfer?

Grünenthal verursachte mit seinem Medikament Contergan einen der größten Skandale der Medizingeschichte. Die Opfer kämpfen bis heute mit den Folgen. Ein Gutachten stellt nun eine dramatische Unterversorgung fest.

Tausende schwangere Frauen hatten ab Ende der 1950er Jahre das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan des Aachener Pharmaunternehmens Grünenthal benutzt. Die Nebenwirkungen waren für rund 10.000 Kinder verheerend. "Die verzweifelten Eltern, die in Deutschland geklagt hatten, schlossen mit Grünenthal 1970 schließlich einen Vergleich über eine Entschädigungssumme von etwa 100 Millionen Mark, die in eine Stiftung eingezahlt wurde", erklärt Andreas Meyer vom Interessenverband der Conterganopfer und selbst Contergangeschädigter.

Zurzeit des Strafprozesses seien die Eltern allerdings so sehr mit ihren Sorgen beschäftigt gewesen, glaubt Meyer, dass sie nicht in der Lage gewesen seien, längerfristige Prozesse zu führen. "Und das ist natürlich auch ein Kalkül der Firma Grünenthal gewesen. Sie haben diese Situation schamlos ausgenutzt, der Gesamtschaden wurde auf die Allgemeinheit abgewälzt. Die Hauptlast trägt der Steuerzahler in Form von Conterganrenten, Sozialleistungen und Kassenleistungen", so Meyer.

1100 Euro Rente zum Überleben

Viele Opfer können nicht oder nur sehr eingeschränkt für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen. "Die geringen Renten reichen nicht für ein menschenwürdiges Leben aus. Regelmäßig müssen die Opfer zudem bei den Renten- und Versorgungskassen ihren Hilfebedarf anmelden", kritisiert auch Christoph Lechtenböhmer, Diplom-Psychologe und Conterganopfer. "Wenn man einen Schädiger hat, dann muss man einen Ausgleich schaffen - und zwar nicht über Anträge, sondern über direkte Zuwendungen. Es muss so sein, dass jeder davon gut leben kann."

Seit Jahrzehnten schon kämpft daher der Bundesverband der Contergangeschädigten für mehr finanzielle Unterstützung, damit die Betroffenen ihren schwierigen Alltag bewältigen können.

Politik will neue Regelungen schaffen


Weil die gezahlten Renten nach Angaben der Opfer zu niedrig seien, hatte eine parteiübergreifende Initiative mehrerer Parteien im Deutschen Bundestag in Zusammenarbeit mit Betroffenen vor vier Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, um den Hilfebedarf für Contergangeschädigte zu ermitteln. Der Zwischenbericht des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg liegt nun vor und stellt eine geradezu dramatische Unterversorgung der Opfer fest.

Zu den ursprünglich bereits zum Teil schweren Conterganschädigungen stellten sich "durch die jahrzehntelange Fehlbelastung von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur heute zusätzlich Spät- und Folgeschäden ein, die einen altersuntypisch steigenden Bedarf an pflegerischen und therapeutischen Leistungen erfordern", so die Studie. Ilonka Stebritz, die Pressesprecherin des Bundesverbandes der Contergangeschädigten, weiß dies aus eigener Erfahrung: "Wenn ein Mensch, der keine Arme hat und mit den Füssen essen und schreiben muss, im Hüftgelenk oder im Kniegelenk Schmerzen hat, dann wird es ihm schier unmöglich, diese ganz einfachen täglichen Verrichtungen durchzuführen. Auch mit den Zähnen machen wir sehr viel: Ich mache zum Beispiel Flaschen auf und ziehe Rollläden hoch. Deshalb brauchen wir Implantate, die aber nicht von den Versicherungen erstattet werden."

Deutschland ist bei den Hilfszahlungen Schlusslicht

Die Lebenssituation der Opfer werde daher von Tag zu Tag prekärer. Ob Therapie, Assistenz, Pflege oder Mobilität - überall klagen Betroffene über eine große Unterversorgung, weil das Geld fehle. Die Wissenschaftler der Universität Heidelberg haben neben dem Gutachten einen Katalog mit 13 Handlungsempfehlungen erstellt, um den Geschädigten ein menschenwüdigeres Leben zu ermöglichen. Neben den nun vorliegenden Ergebnissen belegt eine von der Conterganstiftung in Auftrag gegebene Studie zudem, dass Opfer in anderen Ländern erheblich besser unterstützt würden. So erhielt beispielsweise ein Schwerstgeschädigter in Großbritannien im Durchschnitt in den letzten zehn Jahren einen Betrag von rund 62.000 Euro pro Jahr, ein Geschädigter in Deutschland jedoch nur rund 6000 Euro. Für Ilonka Stebritz steht fest, dass die Politik, die das Forschungsprojekt mit 900 Betroffenen initiiert hat, jetzt auch Wort halten und den Opfern mehr helfen muss.

Vom Pharmakonzern Grünenthal mit Sitz in Stolberg bei Aachen erwarten die Opfer hingegen keine weitere Hilfe. Für Empörung sorgte unlängst ein Denkmal, mit dem die Stadt Stolberg und die Firma an den Skandal erinnern wollten. Betroffene bezeichneten die Präsentation als "dreiste PR-Veranstaltung". Eine umfassendere finanzielle Verantwortung weise der Konzern dagegen weiterhin von sich, beklagen sie. Der Vorsitzende der Konzernleitung von Grünenthal hatte unlängst Bedauern "über die Folgen von Contergan und unser tiefes Mitgefühl für die Betroffenen, ihren Müttern und ihren Familien" geäußert. Man sehe "sowohl die körperlichen Beschwernisse als auch die emotionale Belastung, die die Betroffenen selbst, ihre Familien und besonders ihre Mütter aufgrund von Contergan erleiden mussten und auch heute täglich ertragen".

Eine finanzielle Entschädigung erwähnte Stock jedoch nicht. Demnächst wird sich die Firma wahrscheinlich erneut vor Gericht verantworten müssen: Contergan-Opfer in Australien haben den Konzern verklagt. Anwälten der Kläger zufolge haben sich nach Durchsicht der Archive neue Anhaltspunkte ergeben, wonach die Firma sich der fahrlässigen Körperverletzung und Tötung schuldig gemacht haben soll.

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#8

Beitrag von Presse » Montag 12. November 2012, 18:04

Opfer-Anwälte nutzen 40 Jahre alte Akten aus Deutschland
Von Marieke Degen

In Australien steht das Unternehmen Grünenthal, der Hersteller des Schlafmittels Contergan, vor Gericht. Die Brisanz daran: Es werden Dokumente, Zeugenaussagen und Gutachten verwendet, die die Staatsanwaltschaft vor mehr als 40 Jahren sammelte, die im deutschen Contergan-Prozess aber nie vollständig ausgewertet wurden.

"Also: Auf die Plätze, fertig, los"

Stolberg bei Aachen, 31. August 2012.

"Grünenthal! (Grünenthal!) Grünenthal! (Grünenthal!) Wirtz! (Wirtz!) Deine Mahnmale rufen Dich! (Deine Mahnmale rufen Dich!)"
(Der in Klammern stehende Text wird von einer Gruppe wiederholt)

Andreas Meyer hat weder Arme noch Beine. Sein Gesicht ist goldfarben geschminkt, sein Rollstuhl in ein goldenes Tuch gehüllt.

"Wir sind schon vor unserer Geburt zu deinen Denkmälern geworden! (Wir sind schon vor unserer Geburt zu deinen Denkmälern geworden!)"

Einen Kilometer entfernt, im Kulturzentrum, wird gleich das Contergan-Denkmal eingeweiht. Eine Bronzeskulptur, bezahlt von Grünenthal. Der Firma also, die das Schlafmittel vor mehr als 50 Jahren in Stolberg hergestellt und damit einen der größten Arzneimittelskandale aller Zeiten ausgelöst hat. Andreas Meyer und seine Mitstreiter bereiten sich auf ihre Gegendemonstration vor.

"Wir sind die Denkmäler deiner Skrupellosigkeit und Profitgier! (Wir sind die Denkmäler deiner Skrupellosigkeit und Profitgier!)"

Der Fall Contergan - eine unvermeidliche Katastrophe? Oder fahrlässige Körperverletzung aus Profitgier? Hätte Grünenthal die Katastrophe damals verhindern können? Die Firma vertritt dazu seit Jahren dieselbe Position - so auch ihr Geschäftsführer Harald Stock bei der Denkmalseinweihung.

"Grünenthal hat bei der Entwicklung von Contergan nach dem damaligen Kenntnisstand gehandelt, und alle Industriestandards für das Testen neuer Medikamente entsprochen zu haben, die in den 50er und 60er Jahren maßgeblich und anerkannt waren. Wir bedauern sehr, dass durch die Tests, die wir und andere durchgeführt haben, die teratogene, also das fruchtschädigende Potenzial von Contergan nicht festgestellt werden konnte, bevor es eingeführt wurde."

Michael Magazanik sieht das anders. Magazanik ist Rechtsanwalt in Melbourne, Australien.

"Harald Stock sagt immer wieder, dass Grünenthal vor der Markteinführung alles gemacht hat, was damals erwartet worden ist. Nun - wir sagen, das war einfach nicht der Fall."

Auch in Australien war Contergan in den Sechziger Jahren auf dem Markt - unter dem Namen Distaval. In Melbourne wird die Grünenthal GmbH zurzeit auf Schadenersatz verklagt, zusammen mit ihrer ehemaligen Lizenzfirma Distillers. Michael Magazanik und sein Team vertreten die Thalidomidopfer.

Die Anwälte erheben schwere Vorwürfe: Grünenthal soll Contergan nicht ausreichend getestet und Hinweise auf Fruchtschäden nicht ernst genug genommen haben. Sie stützen sich dabei auf Beweismaterial aus Deutschland. Dokumente, Zeugenaussagen und Gutachten, die die Staatsanwaltschaft vor mehr als 40 Jahren gesammelt hat, die im deutschen Contergan-Prozess aber nie vollständig ausgewertet worden sind. Der Prozess wurde im Dezember 1970 eingestellt.
Michael Magazanik hat das Material im Landesarchiv in Düsseldorf neu gesichtet und einen Teil davon dem Gericht in Melbourne zur Verfügung gestellt.

"Nachdem wir viel Zeit in dem Archiv verbracht haben, ist mir klar, dass die wahre Geschichte über das, was Grünenthal über die Fehlbildungen wusste oder hätte wissen sollen oder können, nie richtig erzählt worden ist."

Schon in den Fünfziger Jahren sei bekannt gewesen, dass Medikamente dem ungeborenen Kind schaden könnten, sagt Michael Magazanik. Und schon damals habe es Tierversuche gegeben, um das zu testen. In den Düsseldorfer Akten findet sich unter anderem die Aussage eines Pathologen aus den USA. Er sagt 1968:

"In den zehn Jahren, die dem Erscheinen des Thalidomids vorausgingen, und das war um 1959, ist von verschiedenen Forschern von Japan über die Vereinigten Staaten über England bis Frankreich für nicht weniger als 25 Verbindungen gezeigt worden, dass sie den Fötus in der Gebärmutter beeinflussen, sei es, dass sie viele Fötusse töteten, oder sei es, dass sie Missbildungen herbeiführten."

Die Anwälte behaupten außerdem: Grünenthal habe Hinweise auf Fruchtschäden nicht ernst genug genommen. Dem Archivmaterial zufolge hat ein deutscher Apotheker 1960 einen Brief an Grünenthal geschrieben. Seine Kundin habe ein Baby mit Organschäden zur Welt gebracht. Ob Contergan dahinterstecken könnte. Grünenthal antwortet:

Sehr geehrter Herr Apotheker,
Nach allen uns bisher vorliegenden Beobachtungen und Befunden, insbesondere aus gynäkologischen Abteilungen, können wir hier einen ursächlichen Zusammenhang verneinen.

Die Mitarbeiter bei Grünenthal wussten offenbar nicht, wie Thalidomid auf das ungeborene Kind wirkt. In einer Aktennotiz eines leitenden Angestellten vom März 1961 heißt es:

Zum Thema Thalidomid und Schwangerschaft bzw. diaplazentarer Übertritt auf den Föten haben wir keine eigenen Erfahrungen. Tierversuche sind hier vielleicht nützlich, obwohl ich nicht mit einer Beeinflussung des Föten rechnen würde.

Erst im November 1961, nachdem ein Arzt aus Hamburg einen Zusammenhang zwischen Contergan und den Fehlbildungen nachweisen kann, nimmt Grünenthal das Mittel aus dem Handel.
Der Pressesprecher von Grünenthal, Frank Schönrock, will sich zu den Vorwürfen der australischen Anwälte nicht äußern.

"Bei den Punkten, die Gegenstand des Verfahrens in Australien sind, bitte ich um Verständnis, dass ich dazu leider nichts sagen kann. Das wird durch das Gericht bewertet werden, voraussichtlich im kommenden Jahr, und von daher gesehen kann ich dazu vorher keine Stellungnahme abgeben."

Die mitangeklagte Firma Distillers, die ehemalige Lizenzfirma von Grünenthal, gehört heute zum britischen Konzern Diageo. Diageo hat mit der Hauptklägerin im Juli einen Vergleich geschlossen - über mehrere Millionen Dollar. Grünenthal beteiligt sich nicht daran. Frank Schönrock:

"Wir sind der Ansicht, dass wir damals nach den gängigen Standards der Wissenschaft verantwortungsvoll gehandelt haben, und aus diesem Grund werden wir uns auch verteidigen."

Das Verfahren ist zurzeit unterbrochen, weil Diageo noch mit weiteren Opfern verhandelt. Es könnte im nächsten Jahr wieder aufgenommen werden.


Programmhinweis
Die Sendung Hintergrund beschäftigt sich heute Abend ab 18.40 Uhr ausführlich mit dem Prozess in Australien.


Letzte Änderung: 16:28 Uhr
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#9

Beitrag von Presse » Montag 12. November 2012, 18:07

Risiken bei Nebenwirkungen
Unerwünschte Folgen von Medikamenten

Birgid Becker im Gespräch mit Georg Ehring

Immer wieder gibt es Probleme mit der Sicherheit von Arzneimitteln. Bei 15.000 bis 17.000 Patienten komme es jährlich zu Nebenwirkungen, sagt die Journalistin Birgid Becker. Doch Contergan stehe einzig da, was Betroffenenzahlen und Schwere der Schädigungen angeht.

Georg Ehring: Meine Kollegin Birgid Becker hat sich damit beschäftigt. Frau Becker, wie ist die Situation heute?

Birgid Becker: Contergan steht schon einzig da, was Betroffenenzahlen und Schwere der Schädigungen angeht. Aber natürlich gibt es immer wieder Probleme mit der Sicherheit von Arzneimitteln. Das für die Arzneimittelzulassungen und für die Risikoüberwachung zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel schätzt, dass es bei 15.000 bis 17.000 Patienten jährlich zu Arzneimittelnebenwirkungen kommt - oder unerwünschten Wirkungen, wie es heißt. Dahinter steht längst nicht immer eine schwerwiegende Schädigung, aber ein Thema ist Arzneimittelsicherheit allemal.

Georg Ehring: Weil Sie sagten, Contergan sei die absolut große Katastrophe gewesen, ein knapper Aufriss: Was geschah danach, welche größeren Vorfälle gab es?

Birgid Becker: Da ist vor allem an den Bluterskandal zu denken. In den späten 80er-, Anfang der 90er-Jahre stellte sich heraus, dass etwa 1.400 Bluterkranke mit Aids infiziert wurden durch verseuchte Blutprodukten, obwohl es zu gleichen Zeit schon möglich war, das Virus nachzuweisen und virusfreie Produkte herzustellen. Damals wurde von der größten Arzneimittelkatastrophe nach Contergan gesprochen. Immer noch unaufgeklärt aus Sicht der Betroffenen ist, ob das Hormonpräparat Duogynon der damaligen Firma Schering für Fehlbildungen bei Ungeborenen verantwortlich ist. Das Medikament wurde bis Ende der 70er verkauft. Mitte der 80er dann die Hoechst-Präparate Alival und Psyton; Hoechst wurde vorgeworfen, zu spät über Nebenwirkungen informiert zu haben. Schließlich das Bayer-Präparat Libobay, das im August 2001 vom Markt genommen wurde und später dann Vioxx, das Rheumamittel, das im September 2004 zurückgezogen wurde, nachdem die Herstellerfirma Merck zugeben musste, das Vioxx das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verdoppelte. Da war das Medikament schon fünf Jahre am Markt, etwa 20 Millionen Menschen hatten es eingenommen. Damit ist die Liste der schwerwiegenden Probleme mit der Arzneimittelsicherheit natürlich nicht vollständig...

Georg Ehring: Nun hat sich ja nach Contergan der ganze Regelungsrahmen für Arzneimittel geändert. Was für Hürden für den Marktzutritt gibt es und wo sind die Schwachstellen?

Birgid Becker: Zu den Zeiten des Contergan-Skandals wurden Arzneimittel nur registriert, die Arzneimittelgesetzgebung wurde schon ab 1961, noch zur Vertriebszeit von Contergan, in Richtung mehr Patientensicherheit weiter entwickelt. Arzneimittel müssen nun vor dem Marktzutritt einen Nachweis über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorlegen: Sie müssen eine Zulassung bekommen, entweder national oder gleich mit Gültigkeit für ganz Europa. Es gibt ein fixiertes System, nachdem Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen gesammelt und bewertet werden und darüber informiert wird - das sogenannte Stufenplanverfahren. Und auch nach Markteintritt müssen weiter Studien gemacht werden. Aber genau mit diesen Studien gibt es in puncto Design, Transparenz und Vollständigkeit immer wieder Probleme. Und schließlich: Viele Arzneimittelrisiken tauchen erst im Praxistest auf. Bei den klinischen Versuchen vor der Marktzulassung werden Wirkstoffe in der Regel nur an vergleichsweise wenig Patienten getestet. Vioxx wurde etwa an 5.000 Probanden getestet, bevor es 1999 in Europa und den USA zugelassen wurde. Eingenommen aber haben das Präparat bis zum Marktrückzug etwa 80 Millionen Menschen. Bei dieser Menge an Verordnungen stellte sich erst ganz klar heraus, wo genau die Risiken sind, wie sie zu bewerten sind. Wobei es natürlich immer noch eine ganz andere Frage ist, ob der Hersteller schnell genug über Risiken informiert oder bemüht genug ist, Risiken auch zu entdecken.

Georg Ehring: Was tun, wenn man befürchtet, Opfer einer Schädigung zu sein, Opfer einer Nebenwirkung oder wie es heißt: eines unerwünschten Arzneimittelereignisses?

Birgid Becker: An allererster Stelle: Mit dem behandelnden Arzt sprechen. Der hat eine Schlüsselposition beim Erkennen unerwünschter Arzneimittelwirkungen und bei deren Weitergabe. Auch der Apotheker ist übrigens berufsrechtlich verpflichtet zur Weitergabe. Grundsätzlich müssen sich Patienten überlegen, ob es sinnvoll ist, immer nach dem neuesten und jüngsten Arzneimittel zu fragen. Sicher, da gibt es die Hoffnungen auf therapeutische Innovationen, aber gerade die neu auf den Markt gekommen Medikamente sind immer auch die, über die man am wenigsten weiß.

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Beitrag von Presse » Dienstag 27. November 2012, 07:52

26.11.2012 - 17:42
Lebenssituation der durch Contergan geschädigten Menschen verbessern

Berlin (kobinet) Der behindertenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag hat sich heute an die Mitglieder des Familienausschusses und die behindertenpolitischen Sprecher/innen der Bundestagsfraktionen gewandt, um gemeinsam die Lebenssituation der durch Contergan geschädigten Menschen in Deutschland zu verbessern.

In einem offenen Brief an seine Kolleginnen und Kollegen schreibt Ilja Seifert, er habe mit großem Interesse ihre zu Protokoll gegebenen Redebeiträge in der 1. Lesung zum Antrag der Linken „Lebenssituation der durch Contergan geschädigten Menschen mit einem 3. Conterganstiftungsänderungsgesetz und weiteren Maßnahmen spürbar verbessern“ am 25. Oktober sowie die Antworten von Abgeordneten aller Fraktionen auf Briefe und Fragen von Conterganopfern gelesen.

Unstrittig über alle Fraktionen erscheint Seifert, dass die 2009 mit dem 2. Conterganstiftungsänderungsgesetz beschlossenen Maßnahmen nur ein erster Schritt waren, dass es (schon lange) weiteren Handlungsbedarf gibt und das möglichst schnell.

Die Vorschläge und Forderungen im Antrag der Linken seien Ergebnis umfangreicher Gespräche und Analysen mit den Conterganopfern und ihren Organisationen. "Ich betrachte unseren Antrag als (offenes) Gesprächsangebot mit Ihnen", betonte Seifert. "Sicher gibt es hier noch Punkte, die fehlen oder ausgebaut werden müssen und es gibt Forderungen, wo man über Kompromisse und Alternativen reden kann. Dabei ist zu diskutieren, was angemessen oder unangemessen ist, was (auch finanziell) realistisch und was unrealistisch ist."

In diesem Sinne sieht der Bundestagsabgeordnete der Linken "mit Interesse baldigen gemeinsamen Gesprächen – unter Einbeziehung des Betroffenensachverstandes – entgegen". sch

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#11

Beitrag von Presse » Dienstag 27. November 2012, 07:54

Kommentare zu den Presseberichten könnt Ihr hier abgeben. :link

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Beitrag von Presse » Donnerstag 29. November 2012, 17:13

Rettungspaket für Conterganopfer
Mittwoch, 28 November 2012
Anlässlich des heutigen, 51. Jahrestages (27.11.1961)der vom Marktnahme der thalidomidhaltigen, hochtoxischen und teratogenen Präparate Contergan und Conterganforte der Firma Grünenthal (Stolberg / Rhld.) fordert der Sprecher des Untersuchungsausschuss Conterganverbrechen (U.A.C.) , Stephan Nuding, ein sofortiges "Rettungspaket für die Conterganopfer" in der Bundesrepublik Deutschland.


"Durch die zwangsweise Einrichtung der Conterganstiftung für behinderte Menschen, hat die Bundesrepublik Deutschland - vertreten durch die jeweilige Bundesregierung - die Pflicht übernommen, für unsere Versorgung und die Erfüllung unserer Bedarfe Sorge zu tragen. Dies wurde bereits 1976 durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Seit Frühsommer 2012 liegt der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag , dem Familienausschuss und dem zuständigen Familienministerium das Zwischenergebnis der Studie zu "Problemen, speziellen Bedarfen und Versorgungsdefiziten in Deutschland lebender contergangeschädigter Menschen" des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg vor. FAZIT: Die deutschen Contergangeschädigten sind in jeder Hinsicht unterversorgt!

Aber anstatt, dass die Bundesregierung nunmehr umgehend dafür Sorge trägt, dass diese Misstände beseitigt werden, will man das "Endresultat" der Heidelberger Forschung "abwarten" um dann zu entscheiden, ob und wie den berechtigten Ansprüchen der Contergangeschädigten Rechnung getragen werden soll

Was glauben Bundesregierung und Parlament? Dass uns in der Zwischenzeit die Arme oder Beine nachwachsen? Dass sich unsere Lähmungen, unsere Seh- , Sprach - oder Hörschäden per Selbstheilung beheben?

Dass sich unsere Gelenke und Knochen wieder regenerieren? Dass sich unsere physischen und psychischen Leiden und Schmerzen in Luft auflösen?

Für uns stellt das Verhalten der zuständigen Stellen nichts anderes, als eine perfid vertuschte Form der unterlassenen Hilfeleistung dar. Wenn es um die Rettung maroder Banken oder Staatswirtschaften geht, sind der zuständige Minister, die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag innerhalb weniger Tage dazu in der Lage zweistellige Milliardenbeträge zur Verfügung zu stellen.

Bei der Erfüllung der übernommen Pflichten gegenüber den eigenen Staatsbürgern aber, soll das nicht möglich sein, obwohl es nur um einen Bruchteil dieser Summe geht? In allem Respekt: Uns zwingt sich der Verdacht auf, dass man einfach nicht helfen will. Dies ist unserer Meinung nach zutiefst menschenverachtend und zynisch. Es stellt in unseren Augen nichts anderes dar, als eine Form der "bürokratisierten Euthanasie"!

Wir appellieren noch einmal an die Verantwortlichen in Staat und Regierung, dass sie diesem Unrecht umgehend ein Ende setzen"", erklärt der Sprecherrat des U.A.C..

Untersuchungsausschuss Conterganverbrechen (U.A.C.) / Stephan Nuding

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