Siegertyp mit Handicap

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Molly
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Siegertyp mit Handicap

#1

Beitrag von Molly » Mittwoch 27. Dezember 2006, 15:33

Hallo,

Ich las gerade einen interessanten Bericht über einen Contergangeschädigten in unserer Pforzheimer Zeitung. Eure Molly

Siegertyp mit Handicap

Matthias Berg bringt Bestleistungen – trotz oder gerade wegen seiner Contergan-Behinderung

Eines von vielen Talenten: Matthias Berg am Horn

Als Matthias Berg einmal einen Vortrag über Motivation hielt, meldete sich ein Manager: „Herr Berg, wie stecken Sie sich eigentlich ihr Hemd in die Hose?“ Im Raum hätte man hören können, wie eine Stecknadel zu Boden fällt. Der 45-Jährige, der von Geburt an Contergan geschädigt ist und stark verkürzte Arme hat, antwortete mit strahlendem Lächeln: „Mit einem Rückenkratzer.“

Aus der Fassung scheint den stellvertretenden Landrat in Esslingen kaum etwas zu bringen. Im Gegenteil. Der Jurist spricht offen über seine Behinderung, mit der er auch enorme Talente entwickelt hat. Bilanz seiner Motivation: In der Leichtathletik und im Ski alpin 14 Goldmedaillen bei Paralympics sowie bei Welt- und Europameisterschaften, neun Mal Silber und sechs Mal Bronze. In der Musik: ein ausgezeichneter Hornist. Im Hauptjob: Chef eines Dezernats mit 400 Mitarbeitern.

Matthias Berg hält sich nicht für grandios. Dafür hat er als Kind zu viele Hänseleien erlebt. Als er mit der Familie als Zehnjähriger von Detmold in die schwäbische Provinz zieht, wo der Vater als Direktor der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen (Kreis Tuttlingen) anheuert, spürt er ein dreifaches Handicap: Rote Haare, hochdeutsch und Contergan. „Kurzärmle“ rufen sie ihm nach.

Da weiß er, was es heißt, ausgegrenzt zu werden. Wo andere, die weniger Glück mit ihrer Familie hatten, ins Bodenlose fallen können, fällt der Knabe eine reife Entscheidung: „Ich bin kein Opfer“, sagt er sich. Und macht sich davon frei, was andere denken.

Bei einer Bahnfahrt mit seinem Horn sollte er dieses wunderbare Gefühl erstmals spüren. Im Abteil merkt er, dass ihn eine Dame beobachtet. Bis dahin kennt er nur verstohlene Blicke, die ihm sagen: Was will dieser Behinderte mit dem Instrument? Der Junge beschließt, nicht mehr verschämt wegzuschauen und sieht ihr direkt in die Augen. Dann beginnt er, stumm zu zählen. Auf „drei“ strahlt er sie an, so dass sich sein Grübchen noch mehr ins Kinn gräbt. Einen Wimpernschlag später sind sie im Gespräch. Bis heute macht er das so. Sympathiefaktor nennen es die einen, Selbstbewusstsein die anderen. Deshalb holte man Berg hinter die Kamera: seit 2000 steht er den ZDF-Moderatoren als Paralympics-Experte zur Seite.

Böse Zungen

Dieses lockere „Ich packe das“ und nicht das verkrampfte „Ich muss das schaffen“ – damit lief Berg meist zuerst durch die Zielgerade. Manchmal auch als Zweiter. Wie bei seiner Bewerbung um das Amt des Bürgermeisters in Nürtingen. Berg sagt, er sei kein schlechter Verlierer – obwohl böse Zungen getuschelt hätten, dass einer, der am Maientag kein Fass Bier anstechen könne, nicht für das Amt tauge. Und wieder lässt seine mentale Stärke Giftpfeile abprallen. „Das ist das Problem der anderen, nicht meins“, sagt Berg. Ganz ins Gleichgewicht bringt er sich, wenn er seinem Horn, das er dank der drei Ventile mit seinen drei Fingern bedienen kann, die schönsten Töne entlockt – gerade hat er die dritte CD aufgenommen. Eine Stunde übt er pro Tag bei einer 60-Stunden-Woche in der Behörde. Disziplin, die er aufbringt, wenn seine kleine Tochter Amelie im Bett ist. „Disziplin ist der Kampf gegen meine Faulheit“, sagt er verschmitzt mit seinem Grübchen-Lächeln.

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