Frank62 hat geschrieben: ↑Sonntag 31. Januar 2021, 09:43
Zimmi hat geschrieben: ↑Sonntag 31. Januar 2021, 01:10
Claudia ist Psychologin und verweist immer wieder darauf hin, das Contergangeschädigte psychologische Betreuung brauchen.
Es werden sicherlich wie in anderen Behindertenbereichen welche geben, die mit ihrer Behinderung und vor allem den Spätfolgen nicht zurecht kommen. Vor allen die wo mal völlig schmerzfrei und Selbständig waren.
Die Erfahrung behindert zu sein, also eben anders als andere Menschen im eigenen Umfeld, trifft jeden behinderten Menschen früher oder später und prägt ihn, wenn wir über angeborene Behinderungen sprechen, von seiner Geburt an.
Ein Kind registriert bereits sehr früh die Irritation mit der seine Mitmenschen auf seine Andersartigkeit reagieren. Dies kann ggf. zu seelischen Verletzungen führen und hat lebenslang psychische Beeinträchtigungen zur Folge. Auch die Erkenntnis, dass die eigene Behinderung nicht schicksalhaft gegeben sondern als Schädigung von aussen verursacht worden ist und ein Leben vielleicht anders hätte verlaufen können, kann diese Disposition zur psychischen Belastungen verstärken.
Natürlich kommt jeder behinderte Mensch mit solchen Eindrücken und Erfahrungen individuell unterschiedlich zurecht - und auch nicht jeder macht sich psychische Beeinträchtigungen bewusst. Es ist ggf. Ziel einer Therapie, diese unbewussten Einschränkungen bewusst zu machen und dadurch besser zu bewältigen. Es ist inzwischen unbestritten und mehrfach von Medizinern und Psychologen wissenschaftlich diskutiert worden, dass unter den Contergangeschädigten ein signifikant hoher Anteil durch psychischen Belastungen betroffen ist, darunter leiden sehr viele an Depression, sehr viele von uns waren oder sind in psychotherapeutischer Behandlung und es gibt leider auch einige contergangeschädigte Mitmenschen, die zumindest zeitweise suizidgefährdet waren oder sind.
Auslöser dieses psychischen Leidens ist, neben traumatischen Erfahrungen aus der Kindheit, auch die Erfahrung der eigenen Conterganschädigung, die von einigen eben als Benachteiligung und Einschränkung empfunden wird. Viele Contergangeschädigte konnten aufgrund einer überdurchschnittlichen Resilenz ihr Leben lang gut kompensieren und haben selbstständig oder durch ein gutes, stabiles Umfeld mit stärkender Unterstützung durch Angehörige, Freunde, Eltern und Partner gelernt, mit ihren Schädigungen und Traumatisierungen zurecht zu kommen. Ich persönlich habe mich als Kind nie „behindert“ gefühlt, jetzt mit zunehmenden Alter hingegen schon und dieses Gefühl ist für mich verstörend. Einige haben nie gelernt ihre Schädigungen wirklich zu kompensieren oder konnten es irgendwann aufgrund von Folgeschäden oder weiteren Einschränkungen wie Frühverrentung oder Schmerzen eben nicht mehr.
Deshalb finde ich es nicht nur sehr gut sondern absolut notwendig, dass in den Kompetenzzentren eben auch psychologische Betreuung und Beratung angeboten wird und zwar von Fachärzten mit eindeutiger Expertise zu Contergan und den damit zusammenhängenden historischen, den biografischen und auch körperlichen Besonderheiten.
Das hat aber nichts mit dem lächerlichen Vorhaben zu tun, dass nun Mitarbeiter aus der Conterganstiftung per Crashkurs zur psychologischen Telefonberatung fortgebildet werden sollen. Der Gesetzgeber, der den Zusammenhang von Psyche und Conterganschädigung offensichtlich erkannt hat und sich um eine versierte fachspezifische Betreuung bemüht, ist da offenbar weiter als die Conterganstiftung.
Diese negiert das Thema komplett, wie auch alles andere, was das wahre Ausmass unserer Schädigung erweitern könnte (Gefässe). Es gibt bezeichnenderweise bis heute keinen Psychologen in der medizinischen Kommission. Es gibt vielleicht nicht nachweislich einen direkten Zusammenhang zwischen Thalidomid und psychischer Konstitution, aber sehr wohl einen zwischen Conterganschädigung und psychischem Leid. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass die hier angeführte psychische Komponente einer Conterganschädigung in der Bewertung und Bepunktung durch die Stiftung bisher völlig ignoriert wurde. Das sogen. Opferentschädigungsgesetz hingegen kommt z.B. zur Anwendung, wenn Menschen durch Gewalt geschädigt wurden und dafür eine Entschädigung festgesetzt werden soll (z.B. Soldaten, die im Einsatz traumatisiert wurden). Dabei werden neben den physischen Verletzungen analog auch die psychischen Traumatisierungen berücksichtigt und eigenständig bewertet.
Wir Contergangeschädigte sollten nicht den Fehler machen und die Relevanz von psychischen Aspekten im Zusammenhang mit unseren Schädigungen einfach vom Tisch wischen, nur weil sie uns vielleicht „unangenehm“ erscheinen.
Wir blenden dadurch eine nicht unwesentliche Dimension unseres anders verlaufenden Lebens und unserer eigenen Vergangenheit aus. Eine Dimension, die sehr gezielt auch von der Conterganstiftung ausgeblendet wurde und wird, um weitere Ansprüche zu vermeiden. Damit ist aber denjenigen unter uns, die vielleicht tatsächlich psychische Probleme hatten oder haben, nicht gedient. Diese Menschen brauchen regelmässig und unlimitiert (die Krankenkassen bezahlen nur zeitlich begrenzt Psychotherapie) fachlich versierte Hilfe und Unterstützung und keine laienhaft angewendete „Küchenpsychologie“ oder „Telefonseelsorge“ im Beratungsangebot der Conterganstiftung. Und ich glaube, es gibt mehr solche Menschen unter uns Contergangeschädigten, als wir vielleicht zugeben wollen. Was wiederum zeigt, dass es für die Nerven der Mitarbeiter in der Conterganstiftung vielleicht tatsächlich sehr hilfreich sein könnte, wenn sie in psychologischer Gesprächsführung geschult sind. Dies aber ist eine komplett andere Sache, oder?
